

Wer hier an texanische Ölbarone denkt, wird vielleicht überrascht feststellen, dass auch in der deutschen Provinz beachtliche Mengen des schwarzen Goldes gefördert wurden. U.a. in Wietze am südlichen Ausläufer der Lüneburger Heide. Hier könnte die Aufnahme entstanden sein, auf der sich endlose Reihen von standardisierten Fässern bis zu den Bildrändern erstrecken. Die in ihrer Serialität leicht abstrahierte Struktur markiert fotografisches Bildschaffen am Übergang vom "Neuen Sehen" zur "Neuen Sachlichkeit".


Kindergruppe, wahrscheinlich um 1935 im Alten Land aufgenommen. Zwei gleichgekleidete Mädchen stehen mit einer größeren Schwester in einem Feld mit Kohlpflanzen. Die kleineren Mädchen haben zum Schutz gegen das blendende Sonnenlicht die Arme gehoben – alle drei blicken zum Fotografen, der sich für eine Komposition mit freier Bildmitte entschieden hat. Von einem weiteren Kind ist am linken Rand nur eine Hand mit einem Ball zu sehen.


„Du bist schön von hinten“ sang die deutsch-französische Band Stereo Total 1997. An den jungen Herrn Hülsmann wird das Ensemble dabei sicher nicht gedacht haben, obwohl seiner Frau wirklich eine sehr attraktive Rückenansicht am Strand gelungen ist. Mit in den Nacken gelegtem Kopf trotzt der Wahlhamburger den Elementen, hier in Gestalt tosender Wellen. Zweifellos dürfte Gertrud Hülsmann Bilder von C.D. Friedrich vor dem inneren Auge gehabt haben, als sie den Auslöser betätigte. Der „Wanderer über dem Nebelmeer“, die „Frau vor der untergehenden Sonne“ oder Paare, die den Mond bestaunen – bei dem berühmtesten Maler der Romantik waren auch die meisten Figuren „schön von hinten“.


Im Wind wehende Vereinsflaggen. Zu den zahlreichen Aufnahmen, die Friedrich Hülsmann in Häfen oder an Bord von Schiffen machte, gehört dieses Bild zweier Fahnen von Seesportvereinen, die malerisch sturmgepeitscht an ihrem Mast zerren. Dynamisch verwehte Textilien stellen eine wichtige "Pathosformel" dar, wie der Kulturhistoriker Aby Warburg sie Ende der 1920er Jahre anhand zahlreicher Kunstwerke der Renaissance untersuchte, und die er mit zeitgenössischen Artefakten, etwa Werbung, abglich. Warburg stellte die Beispiele seiner Studien im sogenannten "Bilderatlas Mnemosyne" zusammen, den er nicht mehr vollenden konnte und der erst viele Jahrzehnte nach seinem Tod herausgegeben wurde. Zwischen den Bildzeugnissen der Bewegungsspuren, die jeweils dramatische Gefühlsaufwallungen visualisieren sollten, hätten sich auch Hülsmanns Flaggen gut gemacht.


Wagenräder in der Sonne: Neue Sachlichkeit trifft altes Handwerk. Vor dem Haus eines Wagenschmieds stehen Räder für Fuhrwerke und Beschlagringe in allen möglichen Größen an die Mauer gelehnt. Sie künden noch vom Alten Land als einer seinerzeit noch weitgehend autofreien Region. Die kontrastreiche Aufnahme im hellen Licht der Mittagssonne gehört zu Hülsmanns eher wenigen Fotografien im objekttreuen Stil der "Neuen Sachlichkeit".


Asiatisches Stilleben in der Wohnung Possmoorweg. Auf einem einfachen Tisch fanden eine fernöstliche Buddha-Statuette (vermutlich aus Bronze), eine als Tischläufer verwendete Seidenbordüre mit floralen Ornamenten, darauf ein Porzellankoppchen im Stil der Zeit um 1700 sowie eine bauchige chinesische Vase mit Kirschzweigen Aufstellung. Dass die Kirschzweige noch nicht blühen lässt auf eine Aufnahme Anfang Dezember schließen: traditionell wurden am Barbaratag (4.12.) Kirschzweige geschnitten, damit sie bis Weihnachten aufblühen.
Das elegante und in der Auswahl der überwiegend fernöstlichen Gegenstände einigermaßen reduzierte Stilleben beweist kompositorisches Geschick; die Beleuchtung lässt die Materialität einzelner Objekte, darunter die reflektierende Oberfläche der Vase oder den feinen Seidenglanz des Stoffes hervortreten. Etwas störend erweist sich lediglich ein am linken Bildrand unvorteilhaft angeschnittener Gegenstand, den Hülsmann im Falle einer Ausbelichtung vielleicht "wegretuschiert" haben könnte.


Ganz in ihre Lektüren versunken sitzen eine junge Frau und ein älterer Herr in der Nachmittagssonne. Vielleicht warten sie auf eine der Wasserdroschken, die hier, gegenüber dem Kaiserspeicher im Hamburger Sandtorhafen, anlegen. Während für viele Fotograf:innen der repräsentative 1875 errichtete Speicherbau eine Hauptattraktion darstellte, gilt Hülsmanns Aufmerksamkeit den beiden Lesenden und ihrer auffällig parallelen Sitzhaltung. Das gepunktete Kleid der Dame und ihr Strohhut kommen so gut zur Geltung, dass es sich auch um eine inszenierte Modeaufnahme handeln könnte. Modebilder möglichst authentisch, d.h. wie Schnappschüsse einer Straßenszene wirken zu lassen, war seit den 1930er Jahren beliebt geworden. Da auf dem Speicherturm noch der "Zeitball" zu sehen ist, kann Hülsmann nicht nach 1934 auf den Auslöser gedrückt haben, denn bis zu diesem Jahr war die kuriose Anlage noch in Betrieb: pünktlich um 12 Uhr fiel der Ball innerhalb seiner Aufhängung herab, so daß vorbeifahrende Schiffe ihre Uhren damit synchronisieren konnten.
Die im zweiten Weltkrieg stark beschädigte Speicherarchitektur ist heute von der Elbphilharmonie überbaut.


Ganz im streng-formalen Stil der "neuen Sachlichkeit", die als Bildsprache die Perspektiven- und Belichtungsexperimente der Bauhausära ablöste, fotografiert Hülsmann am menschenleeren Deck eines Ausflugsschiffs: Nüchternheit, deutlich erkennbare Materialitäten und Oberflächen, unspektakuläre Diagonalen, eher Statik als Dynamik kennzeichnen die Aufnahme ebenso wie das kontrastreiche Spiel mit Licht und Schatten, das die Stuhl- und Tischreihen hervorrufen.


Für eine der Berliner landwirtschaftlichen Fachmessen oder die Frankfurter Messe realisierte Friedrich Hülsmann einen Stand der Hansa Mühle, die dort ihre Produkte vorstellte, u.a. das aus Soja gewonnene Lecithin. Den Entwurf hatte er zuvor als stark verkleinertes Modell auf einem Tisch fotografiert.
Lecithin, eigentlich ein Emulgator, wurde und wird auch bei der Herstellung von Futtermitteln, Nahrungsergänzungen, Kosmetika und Medikamenten eingesetzt. Hauptquelle für Lecithin wurde das Öl der Sojabohnen. Lecithin aus Eidotter hat in speziellen Anwendungen, z. B. in der Pharmazie und Kosmetik, weiterhin eine Bedeutung. Seit der Hansa Mühle 1925 die Isolierung von Lecithin nach dem Bollmannschen Extraktionsverfahren gelang, begann das Hamburger Unternehmen auch den amerikanischen Markt zu erobern. Ob Hülsmanns Kampagnen dieser Erfolgswelle zusätzlichen Auftrieb verschafften, muss Vermutung bleiben.


Ankunft oder Abreise eines Passagierschiffes. Vermutlich entsteht die Aufnahme im Kontext der Londonreise des Ehepaars Hülsmann im Sommer 1933; Hülsmanns fuhren mit einem Schiff nach England und nutzten wahrscheinlich die Themse, um von London aus weitere Ziele, u.a. Schloß Windsor westlich von London, anzusteuern. Bei der gezeigten Situation könnte es sich um ein Terminal am Hafen von Tilbury handeln, wo bis heute große Passagierschiffe anlegen – die Besatzung trägt jedenfalls britische Uniformen. Bemerkenswert ist die fast ornamentale Aufstellung der Crewmitglieder und die überwiegende Blickrichtung der offensichtlich wartenden Personen. Interessante Ausnahme: ein Mann mit heller Baskenmütze im Bildvordergrund wendet sich zum Fotografen um, den er gerade entdeckt haben könnte. Friedrich Hülsmann nimmt einen erhöhten Standpunkt ein, von wo aus er das wohlgeordnete „Wimmelbild“ schießt: es gibt viel zu entdecken, z.B, dass so gut wie alle Menschen eine Kopfbedeckung tragen, oder das zwei Passagiere nicht selbst laufen können: ein älterer Herr mit Pelzkappe sitzt in einem vornehmen Tragestuhl, eine ältere Frau, die – stark vornübergeneigt – besonders gebrechlich wirkt, wird in einem Rollstuhl herangefahren. Gerade werden die auffällig etikettierten Gepäckstücke verladen. Schiff ahoi...


ca. 1932, Blick aus dem Fenster einer Wohnung. Wahrscheinlich handelt es sich nicht um die Wohnung der Hülsmanns, denn das Grundstück gegenüber dem Possmoorweg 61 beherbergte eine Kleingartensiedlung.


ca. 1932, Detail aus der Wohnung Possmoorweg mit Beistellmöbel; darauf eine Textildecke mit ornamentalem Dekor im Stil des Rokoko, Metallvase (evtl. Bronze) im Stil der Ming-Dynastie (1368-1644) auf gedrechseltem Ständer sowie ein Silberteller.


Weihnachtlich überreich geschmücktes Zimmer in der Wohnung Possmoorweg, möglicherweise das erste Fest im neuen Domizil, 1932. Die Einrichtung wirkt stilistisch noch etwas unsicher und zu dicht gedrängt – kaum ein Bereich, der nicht mit brennenden Kerzen oder Tannenzweigen dekoriert ist; später wird es für dieses Zimmer andere Lösungen geben. Deutlich zeichnen sich die künftigen Sammlungsinteressen ab: antikes Kleingerät, darunter metallene Leuchter und Wandteller, historische Sitzgelegenheiten wie ein Stuhl à la Chippendahl und ein Brokatsessel. Zu den auf Gabentischen präsentierten Geschenken gehören eine Napoleon-Biographie von Werner Hegemann (ersch. 1927), ein Bildband über Hamburg sowie weitere Bücher, Marzipanspezialitäten aus Lübeck und möglicherweise ein Schallplatte, die auf dem Schreibtisch abgelegt ist. Stoffgardinen mit aufgedruckten Rokokomotiven sehen nach zeitgenössischer Meterware aus.


Ausgerechnet Eisenlager? Zweifellos gibt es zahllose pittoreskere Ansichten der wunderschönen, altehrwürdigen Hansestadt Lübeck. Warum Hülsmann die Wallhalbinsel als Standort wählt, um von dort die Häuserreihe an der Untertrave mit den dahinterliegenden Kirchtürmen von St. Marien und St. Petri zu fotografieren, wird wohl ein Rätsel bleiben. Statt der herrlichen Bürgerhäuser mit ihren typischen Treppengiebeln dominiert Paul G. Pätaus Eisenlager die vordere Bildmitte. Musste Hülsmann seinen Film "vollkriegen"?


Wanderer über dem Eismeer. Mehrmals im Lauf des 20. Jahrhunderts waren Binnen- und Außenalster aufgrund von Dauerfrost so stark zugefroren, daß man das Eis begehen konnte: 1929 über hundert Tage lang, und auch 1933 war ein sehr kalter Winter, der Schlittschuhlaufen und Rutschpartien im Herzen der Hansemetropole ermöglichte. Friedrich Hülsmann hielt das Vergnügen in mehreren Aufnahmen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln fest. Für die Ansicht eines Mannes, der wie eine von C. D. Friedrichs Rückenfiguren etwas isoliert über die Eisschicht wankt, muss Hülsmann einen erhöhten Standpunkt, wahrscheinlich auf einer der Brücken, bezogen haben.