Englandreise August 1933, Windsor Castle. Etwa 40 km westlich von London liegt die königliche Residenz Windsor Castle, benannt nach dem gleichnamigen Ort an der Themse. Der weitläufige, auf einem Bergrücken gelegene Palast ging aus einer mittelalterlichen Festung hervor. Obwohl sich die Königliche Familie während des Ersten Weltkriegs von "Sachsen-Coburg-Gotha" in "Windsor" umbenannte, nutzte sie während der 1930er Jahre das Schloß hauptsächlich nur während der Ostertage, und um die Pferderennen von Ascot zu besuchen. Hülsmann fotografiert u.a. im Innenhof aus der Perspektive der aufgeschütteten Motte mit altem Rundturm – von hier nimmt er den Südflügel in den Blick – sowie auf dem East Terrace Lawn, der im streng geometrischen Barockstil angelegt ist.
Taufengel in der Schlosskirche zu Ahrensburg. Unter Peter Rantzau wurde um 1595 parallel zum Schloss die Kirche mit angrenzenden Gottesbuden (Wohnstätten für Bedürftige) errichtet. Die Decke ist als Himmelsgewölbe blau ausgemalt und mit vergoldeten Sternen versehen; von ihr hängt ein gleichfalls vergoldeter Engel herab, der eine Taufschüssel trägt; mithilfe eines Mechanismus konnte das Figurenensemble im Bedarfsfall weiter abgesenkt werden. Der Engel stammt wahrscheinlich aus der Zeit der Barockisierung der Schlosskirche (um 1715) unter Detlev Rantzau. Hülsmann fotografiert den Engel von mindestens zwei Standpunkten aus. Die Dynamisierung der Skulptur durch das flatternde Gewand kommt in dieser Variante besonders gut zur Geltung.
Karyatiden und Atlanten stützen das Gesims von Schloß Sanssoucis, von dessen vergoldeter Inschrift hier ein Teil zu sehen ist. Im späten Mittagslicht treten Reben und andere Attribute der Feierfreude vollplastisch an den Pilastern hervor, in denen die Oberkörper der Figuren münden. Hülsmann schuf eine ganze Serie dieser Gebälkträger:innen, indem er einmal die gewölbte Fassade des Schlosses abschritt.
Gertrud Hülsmann im Halbprofil an einer Küste, wahrscheinlich Sommer 1933 oder 1934. Hülsmann „erwischt“ seine Frau in einem nachdenklichen, fast skeptischen Augenblick. Vielleicht fröstelt sie auch nur, denn der linke Oberarm zeigt eine leichte Gänsehaut, und sie sollte die unter den Arm geklemmte karierte Wolljacke wieder anziehen. Das vom Wind leicht ins Gesicht gewehte Haar ist wie das eines Mannes kurz geschnitten, eine Mode, die bereits in den 1920er jahren populär war und einen Kontrast zum "fraulichen" Idealtypus einer Reichsdeutschen während der NS-Zeit bietet.
Die Aufnahme des Hamburger Sprinkenhofs vereint wesentliche Elemente des Neuen Sehens in der fotografischen Komposition: spektakuläre Perspektive (hier: Untersicht) und dramatische Diagonalen – letztere setzte Hülsmann häufig als Mittel der Bildgestaltung ein. Zugleich enstpricht die detailgetreue Wiedergabe von Materialität und Oberfläche den Ansprüchen der "Neuen Sachlichkeit". Jeder einzelne Backstein der neo-expressionistischen Fassadengestaltung ist zu erkennen, plastisch treten die Terrakottaornamente hervor, die symbolische Motive von Wirtschaft und Produktion in der Hansestadt formen. Den repräsentativen Bau in der Nähe des "Chilehauses" hatten die Brüder Hans und Oskar Gerson 1925 begonnen, nach dem Tod des Älteren (1931) setzte der Architekt Fritz Höger die Realisierung fort; die letzten Bauabschnitte wurden erst fertiggestellt, einige Jahre, nachdem Hülsmann auf den Auslöser seiner Rolleiflex gedrückt hatte.
vgl. http://www.hamburg.citysam.de/fotos-hamburg-p/jungfernstieg/altstadt/sprinkenhof-1.jpg
Gertrud Hülsmann während eines von drei Urlauben, die das Paar in Dänemark verbrachte. Dass es sich um den Sommer 1936 handeln muss, geht aus der (sozial)demokratischen dänischen Zeitschrift hervor: abgebildet ist dort das Luftschiff "Hindenburg", das zwischen Mai 1936 und März 1937 über den Atlantik flog. Weiterhin ist von "polnischen Anforderungen an Danzig" und "Unruhen in England" die Rede (Übersetzung: Christina Schiefer). Die Aufnahme offenbart viel von der weltoffenen Gesinnung des Paares: die "neue Frau" sollte eigentlich in der nationalsozialistischen Ideologie durch das Leitbild der "deutschen Mutter" abgelöst werden, die Niveacreme wurde seit 1933 als "jüdisches" Produkt verfemt. Gertrud Hülsmann schützt sich vor der Sonne durch einen großen Strohhut, der schulterfreie Sommerdress offenbart ihre sportliche Statur. Gerade wiegt sie sich im Takt der Musik, die sie auf ihrem Akkordeon der Magdeburger Fa. Buttstädt hervorbringt. Da ihre Armbanduhr beim Spiel stören würde – das Akkordeon hat auf der linken Seite einen Haltegurt – trägt Frau Hülsmann sie am rechten Handgelenk.
Schnäppchenjägerin: Beim Londonaufenthalt im August 1933 lassen Hülsmanns die Gelegenheit nicht ungenutzt, auf einem der legendären Flohmärkte nach Schätzen für ihre wachsende Sammlung Ausschau zu halten. Aufgrund der Bewegungsunschärfe an der Hand von Gertrud Hülsmann ist zu vermuten, dass sie gerade noch auf etwas gezeigt hat. Das Sortiment des Händlers besteht u.a. aus eher zweitklassigen Bestecken, Teekannen, Kerzenständern, Küchenzubehör und einem Bündel klobiger Halsketten. Wahrscheinlich hat er der Deutschen gerade etwas zugerufen, denn sein Mund ist noch geöffnet und auch er hat mit dem Arm soeben eine Bewegung gemacht. Gegen die Sonne – Frau Hülsmann hat sich bereits ihrer Jacke entledigt – schützt er sich mit einem Regenschirm. Ob wohl ein Kauf zustande kam?
(ca. 1937) Das im 18. und 19. Jahrhundert mehrfach umgebaute Schloss zu Eutin diente den Großherzögen von Oldenburg bis 1918 als Sommerresidenz und wurde seither nicht mehr regelmäßig bewohnt. Hülsmann fotografiert die "Gartenfassade" des Südflügels wahrscheinlich von der Brücke aus, die über den Schlossgraben führt. Die klassische Komposition mit rahmendem Buschwerk und dem leicht aus der Mittelachse verschobenen, efeubewachsenen Turm wirkt ausgesprochen malerisch. Weitere Aufnahmen aus Eutin zeigen u.a. einen Ritt des 1918 abgedankten Großherzogs Nikolaus (1897-1970), einem Mitglied der NSDAP und SA-Standartenführer, begleitet von seinem ältesten Sohn Anton Günther (1923-2014).
Selbstporträt aus einer ganzen Reihe von fotografischen Studien rund um das eigene Erscheinungsbild: Friedrich Hülsmann probiert vor der Kamera verschiedene Gesichtsausdrücke - und verschiedene Krawatten; als Hintergrund dient eine hell lackierte Tür.
Seitliche Aufnahme von Schloß Sanssouci, das ab 1745 von Georg Wenceslaus von Knobelsdorff für Friedrich II. errichtet wurde. Der Name der – verglichen mit dem Neuen Palais – zierlichen und intimen Residenz bedeutet "ohne Sorgen" und ist in vergoldeten Lettern an der im Bild sichtbaren Nordfassade angebracht; die Seitenflügel enden jeweils in runden Kabinetten. Von links marschiert, mit leichter Bewegungsunschärfe, ein Herr ins Bild; eine weitere Person, wirft ihren langen Schatten voraus. Ob es sich um einen gewollten Schnappschuss handelt, oder ob die beiden als unerwünschte Störenfriede in die Aufnahme gerieten, können wir nur spekulieren.
Drei Arbeiter an Bord eines Holzfrachters; Friedrich Hülsmann lebte in einer Hafenstadt, und Wasserfahrzeuge in jeglicher Form interessierten ihn: der Ozeanriese ebenso wie das Segelboot, der Ruderkahn, die Fähre oder das große Lastenschiff. Etwa 1935 fotografiert er drei Männer, die gestapelte Holzplanken schrubben, die möglicherweise für den Bau eines weiteren Schiffes gedacht sind, denn der Kahn, auf dem die Mänenr arbeiten, besteht aus ebensolchen. Die drei Männer mittleren Alters tragen schlecht sitzende Kleidung, die deutliche Spuren bereits geleisteter Werktätigkeit zeigen: Flecken, Beulen und Abnutzungen. Die Arbeit wirkt öde, aber die drei sind vielleicht froh, überhaupt welche zu haben; nach anhaltender Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit schien es mit der Nationalökonomie im "Dritten Reich" endlich wieder bergauf zu gehen: die Vollbeschäftigung war erklärtes Ziel der Regierung und entsprechende Programme erweckten den mitunter trügerischen Eindruck, dass alle wieder etwas zu tun hatten. Um welchen Preis, wurde übrigens vorerst diskret verschwiegen: dass Deutschland seinen Aufschwung vor allem Investitionen in die Rüstungsindustrie und massiven Kriegsvorbereitungen zu verdanken hatte, stellte sich erst später heraus. So wirkt Hülsmanns Bild zunächst wie eine Hymne auf die Betriebsamkeit: das Zentrum der Bilddidagonale wird dominiert von drei Männern, die stoisch ihrem Beruf nachgehen, umgeben von der feierlichen Weite des Meeres...
Zwei Besucher einer landwirtschaftlichen Messe in Berlin, wahrscheinlich Mai 1933. Friedrich Hülsmann hat sich - vermutlich völlig unbemerkt – auf die Fersen von zwei Männern geheftet, die sich über das Messegelände treiben lassen und offenbar hier und da Informationen einsammeln. Vom Stand der Hansa Mühle, dessen Aufbau Hülsmann in vielen Fotografien dokumentiert, haben sie Umhängetaschen aus bedrucktem Stoff mitgenommen. Der aufgedruckte Werbeslogan "füttert Soja Schrot Vita" bildet annähernd die Mitte der Aufnahme und den Focus der Scharfstellung. Mit ihren Hüten und den mäßig sitzenden Straßenanzügen wirken die beiden Männer ähnlich unkomfortabel und wesensfremd gekleidet wie die drei Westerwälder Jungbauern im Sonntagsstaat, die August Sander 1914 fotografiert und 1929 in sein Buch "Antlitz der Zeit" aufgenommen hatte. Dass Hülsmann die beiden im Moment ihrer Isolation von den übrigen Messebesucher ablichtete, verstärkt den Eindruck der Verlorenheit: vielleicht werden die Männer froh sein, der Großstadt bald wieder den Rücken kehren zu können…