In den 1930er Jahre lebte der gebürtige Bielefelder Friedrich Karl Hülsmann mit seiner Frau Gertrud geb. Schlüter in Hamburg. Er arbeitete als Werbeleiter für die Hansa Mühle AG, gestaltete Reklametafeln und Messestände. In der Freizeit unternahm das Ehepaar Ausflüge in die nähere Umgebung, das "Alte Land"; mehrtätige Reisen führten in verschiedene deutsche Städte und benachbarte Staaten, darunter Dänemark und England, sowie in das nördliche Italien.
Hülsmanns hatten nach der Heirat eine Wohnung im Poßmoorweg bezogen: Architekt Karl Schneider (1892-1945) entwarf diesen Mietkomplex im seinerzeit hochmodernen Bauhausstil, doch die Eheleute füllten ihre Räume allmählich mit Antiquitäten: Möbel aus dem 18. Jahrhundert, kleinformatige Gemälde, Tafelsilber und Porzellan...
Mit der damals neuartigen Rolleiflex-Kamera hielt Friedrich Hülsmann die vielfältigen Eindrücke seines erfüllten und abwechslungsreichen Daseins fest: aus über 3.800 erhaltenen Negativen setzt sich ein vielgestaltiges und oft widersprüchliches Bild von einem Leben in Deutschland zusammen: große Teile der Bevölkerung arbeiteten noch in einer vorindustriellen Landwirtschaft und in dörflichen Gemeinschaften, für deren Erhaltung sich etwa der Bund "Heimatschutz" einsetzte. Zugleich pulsierte in der Großstadt mit internationalem Hafen und an den Badestränden der Ost- und Nordsee ein scheinbar unbeschwertes Freizeitvergnügen jenseits von Krise und Kriegsgefahr. Pferdefuhrwerke stehen chromglänzenden Automobilen gegenüber, das Malerische konkurriert mit der "Neuen Sachlichkeit".
Als die Ozonschicht noch in Ordnung war... Gertrud Hülsmann sitzt an einem steinigen Strand und cremt sich die wohlgeformten Beine ein – offenbar mit Nivea, denn diese Dose taucht auch auf einer anderen Aufnahme aus dem Dänemarkurlaub 1936 auf. Damals hielt man die UV-Strahlung der Sonne noch nicht für so bedenklich und setzte sich ihr weitgehend ungeschützt aus – das Rückendekolleté des modischen Badeanzugs lässt jedenfalls erkennen, dass die 43jährige schon einige Sommertage genossen hat. Eine Generation zuvor hätte eine Dame zweifellos Zuflucht unter einem Sonnenschirm oder hinter einem Fächer gesucht, um ihre Haut makellos weiß zu erhalten, Bräune wurde erst in den 1920er Jahren zum Schönheitsideal der sportlich aktiven Frau. Der Schatten am unteren rechten Bildrand verrät die Anwesenheit des Fotografen
1933 reisten Gertrud und Friedrich Hülsmann mit dem Schiff nach Großbritannien. Auf der Überfahrt fotografierten sich die Eheleute gegenseitig, wie sie in dem wenige Jahre zuvor erschienenen Buch des gebürtigen Niederländers und Wahlbriten Gustaaf Johannes Renier lesen: „Sind die Engländer Menschen wie wir?“ (2. Aufl. Stuttgart Berlin Leipzig 1931). Neben allgemeinen, eher unernsten Betrachtungen zu Land und Leuten gibt der Autor Empfehlungen, wie man sich der einschüchternden Metropole London in ihrer „unermeßlichen Größe“ nähern könne. So möge der Besucher, in dieser Stadt ohne Zentrum „Trafalgar Square zum Ausgangspunkt seiner Entdeckungsfahrten machen“. Frau Hülsmann scheint jedenfalls eher skeptisch; sie hält die Hand beinahe mit einer Geste der Fassungslosigkeit an ihre rechte Wange: „meint der Autor das wirklich?“, scheint sie zu fragen.
Einblick in die weihnachtlich geschmückte Wohnung im Possmoorweg: echte Kerzen und Mistelzweige lassen keinen Zweifel daran, welches Fest in den Tagen der Aufnahme gefeiert wird. Besonders bemerkenswert ist, wie das Sammlerehepaar ein Rocaille-Ornament aus dem 18. Jahrhundert zum Kerzenhalter umfunktioniert – fast schon etwas respektlos, wenn man die Akribie berücksichtigt, die der künftige Kunst- und Antiquitätenhändler im aufbewahrenden Umgang mit historischen Objekten pflegte. Auf einer anderen Fotografie musste der ansonsten zweckfreie Gegenstand auch schon für eine spaßige Inszenierung herhalten. Die zierlichen Stilmöbel verleihen der Wohnung einen gutbürgerlichen Charme, der durch die simpel karierte Stoffgardine etwas gebrochen wird – und vollends durch die seinerzeit hochmoderne Architektur des von Karl Schneider entworfenen Wohnkomplexes. Auch das Telefon stört etwas den historistischen Gesamteindruck. Hülsmanns waren damals unter dem Hamburger Anschluss 521051 N.38 zu erreichen.
Schnäppchenjägerin: Beim Londonaufenthalt im August 1933 lassen Hülsmanns die Gelegenheit nicht ungenutzt, auf einem der legendären Flohmärkte nach Schätzen für ihre wachsende Sammlung Ausschau zu halten. Aufgrund der Bewegungsunschärfe an der Hand von Gertrud Hülsmann ist zu vermuten, dass sie gerade noch auf etwas gezeigt hat. Das Sortiment des Händlers besteht u.a. aus eher zweitklassigen Bestecken, Teekannen, Kerzenständern, Küchenzubehör und einem Bündel klobiger Halsketten. Wahrscheinlich hat er der Deutschen gerade etwas zugerufen, denn sein Mund ist noch geöffnet und auch er hat mit dem Arm soeben eine Bewegung gemacht. Gegen die Sonne – Frau Hülsmann hat sich bereits ihrer Jacke entledigt – schützt er sich mit einem Regenschirm. Ob wohl ein Kauf zustande kam?
Als Werbeleiter der Hansa Mühle GmbH (ab 1934 AG) war Friedrich Hülsmann für den Entwurf und die Realisierung diverser Reklamemittel zuständig. Für die Repräsentanz auf einer Landwirtschaftsmesse ließ er einen Pavillon errichten, an dem sich KundInnen über die Produktvielfalt im Bereich der Futtermittel informieren konnten. Als Werbegeschenk wurden u.a. bedruckte Taschen verteilt – Hülsmann fotografierte verschiedene Besucher:innen mit diesen Stoffbeuteln, die sie über der Schulter trugen. In der Bildmitte sieht man einige Herren ins Fachgespräch vertieft, drei junge Frauen – offensichtlich erheitert – verlassen gerade die Szene.
Stelzenläufer, wahrscheinlich Mai 1933. Wohl als Werbegag, um potentielle Besucher:innen auf die gerade stattfindende Messe aufmerksam zu machen, balancieren einige Herren in Frack und Zylinder auf hohen Stelzenbeinen unter dem Berliner Funkturm her. Im Gegenlicht sind sie nur als groteske Silhouetten wahrzunehmen, und da die Sonne gerade hoch steht, werfen ihre überlangen Beine erstaunlich kurze Schatten. Wie der Minutenzeiger einer Uhr wirkt hingegen der diaganole Schatten, den einer der Masten wirft, an denen Straßenlaternen befestigt wurden.
Der Herr vom Amt. "Moment, ich verbinde Sie" könnte Friedrich Hülsmann gerade in den Hörer gesagt haben, während er mit der rechten Hand eine Anschlussbuchse in den Klappenschrank steckt. Diese Aufgabe, die teilweise noch bis in die 1960er Jahre notwendig war, um ein Gespräch zustande kommen zu lassen, wurde üblicherweise von Frauen ausgeübt: Neben dem Beruf der Sekretärin war die Beschäftigung als Telefonistin eine der gängigsten Möglichkeiten für eine Ledige, eigenes Geld zu verdienen. Viel war es übrigens nicht, weswegen die meisten "Büroromane" der 1920er und 30er Jahre als Happy End eine Heirat in Aussicht stellten. Während sich also ein fiktives Fräulein vom Amt bestenfalls den Chef angelte, war es bei Hülsmanns eher umgekehrt. Die gutverdienende Fremdsprachenkorrespondentin Gertrud Schlüter brachte bei der Hansa Mühle AG ihren Verlobten Friedrich Hülsmann unter – und bekam dann mit freundlichen Worten nahegelegt, das Unternehmen zu verlassen. Warum in der Aufnahme aus den frühen 1930er Jahren ausnahmsweise ein Mann den Telefonkontakt herstellt, und wer ihn fotografiert hat, ist nicht bekannt.
Bei einem der zahlreichen Ausflüge ins westlich von Hamburg gelegene Alte Land entdeckt Friedrich Hülsmann dieses Zeltlager am Elbstrand. Vermutlich ist es nicht das Zelt der Eheleute, die mit dem Auto bequem am selben Tag nach Hamburg zurückfahren konnten. Allerdings gehörte Hülsmann als Heranwachsender den "Wandervögeln" an, einer im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts weit verbreiteten, überwiegend bürgerlichen Jugendbewegung: Mitglieder beiderlei Geschlechters übten sich bei gemeinsamen Ausflügen in die Natur im achtsamen Umgang miteinander sowie im Respekt vor der vielgestaltigen Schöpfung und in der Gestaltung eines einfachen Lebens. So könnte das Zelt bei Hülsmann nostalgische Erinnerungen geweckt haben.
Schiff ahoi! Mittagszeit mitten in Hamburg. Friedrich Hülsmann befindet sich ungefähr auf Höhe der Lombardbrücke als er auf den Auslöser drückt. An diesem Punkt, der die Binnenalster mit der Außenalster verbindet, verkehrten zu diesem Zeitpunkt mehrere Schiffe der Alsterdampfschiffflotte. Diese Ausflugsdampfer erfüllten nicht nur touristische Zwecke. Es gab damals verschiedene Routen und Haltepunkte, die gute Möglichkeit einer Fahrverbindung zwischen den Stadtteilen boten: Im Bild gut zu sehen an den Geschäftsreisenden, die hier aussteigen. Ein Mann mit Aktenkoffer geht schnellen Schrittes von Bord, während er seinen Hut richtet. Seine Geschäftspartner erwarten ihn schon am Ufer, und bald darauf wird sich die Gruppe über die neuen Bauprojekte am Hafen unterhalten. Wie passend, dass der Mann gleich mit dem Schiff anreist. Das Ehepaar hinter ihm hat es nicht so eilig. Sie gehen gemächlich von Bord, wenngleich die Frau ihre Ungeduld nicht ganz verbergen kann. Aber sei’s drum, die frische Luft ist auf jeden Fall angenehmer als der beißende Geruch von Qualm und Gischt an Deck.
Der Blick wandert weiter über die pfeilförmige Form des Stegs, der ein zweiseitiges Anlegen ermöglicht. Im Hintergrund der Jungfernstieg mit Pavillon und die mehrstöckigen Häuserfassaden. Ein wenig erinnert die Aufnahme an Werke Cartier-Bressons. Die Menschen bilden durch die harten Schatten fast eine Art Scherenschnitt und ähneln dem berühmten "Decisive Moment". Es ist eine Alltagsszene und trotzdem scheint jedes Element sich an der richtigen Stelle zu befinden, um in der Gesamtästhetik eine Wirkung zu entfalten. Eine Szene die schon damals Hamburg eine kühle maritime Eleganz verleiht.
(Text: Robin Balschun)
Seit das Medium Fotografie existiert, versuchten Fotograf:innen auf verschiedene Weise, auch das eigene Selbst im Bild festzuhalten: indem sie sich mit der Kamera vor einen Spiegel stellten, die Kamera mit einem Draht auslösten – oder indem sie ihren eigenen Schatten fotografierten. Heute sind das Internet und Social Media voll mit "Selfies", die nur aus der Schattensilhouette bestehen. Auch Friedrich Hülsmann widerstand der Versuchung nicht, die eigene Gestalt im Lichtbild zu bannen: hier fällt sein Schatten auf eine Holzwand, möglicherweise eine Strandkabine.
"Uns’re beiden Schatten sah’n wie einer aus..." Bereits 1915 dichtete der 22jährige Soldat Hans Leip, kurz vor seiner Abreise an die russische Front, das "Lied eines jungen Wachpostens". Bekannt wurde es erst zwei Jahrzehnte und einen Weltkrieg später, als Lale Andersen das Lied – nun unter dem Titel "Lili Marleen" – neu einspielte und es zur Erkennungsmelodie des Soldatensenders Belgrad avancierte. Als Friedrich Hülsmann sich und seine Frau als grotesk überlängte Silhouetten porträtierte, standen die beiden unter keiner Laterne und ihre Schatten waren auch nicht so anzüglich umschlungen, wie es der Songtext beschreibt. Allerdings war auch gerade kein Krieg, sondern vermutlich ein harmloser Sonntagnachmittag in einem Park...
Die Waagegasse, die sich Besucher:innen Erfurts noch heute fast unverändert präsentiert, fotografierte Friedrich Hülsmann gleich mehrfach und von verschiedenen Standpunkten aus. Zwischen den Fachwerkhäusern des 16. Und 17. Jahrhunderts spielte sich ursprünglich der Transport von Waren ab, die in den Speichern gelagert wurden.
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In Hülsmanns Aufnahme scheinen sich die Fassaden der Häuser stürzend zu neigen und erinnern an die Kulissen des expressionistischen Stummfilms "Das Cabinet des Dr. Caligari"
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Thomas Mann bezeichnete das Reisen mit der Bahn als "behagensmindernd", leidgeprüfte DB-Nutzer:innen von heute würden ihm zweifellos zustimmen. Diese Abteilgenossen sehen allerdings ganz zufrieden aus. Links sitzen zwei junge Männer, die in ein fast intim wirkendes Gespräch versenkt sind, wobei sie einander tief in die Augen blicken; der rechte trägt die seit 1919 übliche Uniform der Reichswehr mit Doppellitze auf dem Kragenspiegel und eine Uhr mit metallisch glänzendem Armband. Ihnen gegenüber sitzen ein weiterer junger Mann und ein älterer Herr, der in einer Zeitung blättert und sein massiges Kinn Richtung Brust stemmt. Auf dem Tisch steht das Geschirr der Mitropa (=Mitteleuropäische Schlafwagen- und Speisewagen-Aktien-Gesellschaft); der Ausblick aus dem Fenster lässt eine flache Landschaft vorüberziehen. Da die Mitropa-Wagen u.a. auf der Strecke Berlin-London (bzw. Hoek van Holland) verkehrten, könnte es sich um die Anreise der Hülsmanns für ihre Kanalüberquerung nach England im August 1933 handeln.
Gertrud Hülsmann in der gemeinsamen Wohnung – ungeachtet der vierstelligen Negativnummer wahrscheinlich eine der älteren oder gar ältesten Aufnahmen, die Friedrich Hülsmann mit der Rolleiflex machte. 1932 war das Paar in die Wohnung im Possmoorweg eingezogen und hatte hier den Grundstock für eine stetig wachsende Antiquitätensammlung gelegt. Frau Hülsmann trägt das Haar noch etwas länger als in den späteren 30er Jahren und sitzt, in ein kariertes Kleid mit weißem Kragen gewandet, leicht nach vorn gebeugt in einem Lehnstuhl. Ihrem Mann schenkt sie ein sanftes, vielleicht sogar leicht spöttisches Lächeln. Kommt er mit der neuen Kamera noch nicht so gut zurecht? An der Bildkomposition könnte man sicher noch einiges besser machen...
Deutsche Wertarbeit. Bewundernd scharen sich Jungs, die dem Alter nach beinahe unvermeidlich einer der NS-Organisationen wie Jungvolk oder Hitlerjugend angehörten, um eine Auswahl von Kugellagern, wie sie seinerzeit u.a. die renommierte Firma Fichtel und Sachs herstellte. "Von ‚Schönheit der Technik‘ sprach man seit langem schon. [...] Langsam erst beginnt sich die viel radikalere Auffassung durchzusetzen, dass dieser neuen Schönheit der Technik die Aufgabe zufalle, unsere ganzen ästetischen Anschauungen von Grund aus zu reformieren", schrieb Carl Georg Heise schon 1928 in seinem Vorwort zu "Die Welt ist schön. Einhundert Photographische Aufnahmen von Albert Renger-Patzsch". Friedrich Hülsmann dürfte das Buch gekannt haben, denn er beherzigte viele der im Vorwort verkündeten Einsichten, und in einigen Motiven begibt er sich unübersehbar auf Renger-Patzschs Spuren.
Aufnahme aus den ersten Ehejahren, Gertrud Hülsmann trägt das Haar hier noch etwas länger und ist in einem vergleichsweise altmodischen Badeanzug mit Beinlingen dargestellt, der später einem Modell mit Trägern und Rückendekolleté weichen wird. Die Vorliebe für Strandaufenthalte kennzeichnet bereits das Freizeitverhalten der Jungvermählten.
Haus der Schlosser-Meisters Otto Königshagen in Buxtehude.
"Gusseiserne Nasenschilder finde ich total interessant." Vermutlich kein Satz, mit dem man heutzutage auf Parties punkten könnte. Ob Friedrich Hülsmanns Fotosammlung verschiedenster schnörkeliger Handwerksarbeiten wohl damals für Begeisterung sorgte? Oder war es schon zu seiner Zeit eine eher außergewöhnliche Faszination?
Auf dem Bild sehen wir die Schlosserei von Otto Königshagen in Buxtehude mit einem geschwungenen Laden- bzw. Werbeausleger über der Tür. Besonders auf den Reisen durch deutsche Städte dokumentierte Friedrich Hülsmann etliche dieser eindrucksvollen Schmiedearbeiten. (Text: Marleen Bönhoff)
Das Haus, das damals die Nummer 163 trug, steht heute noch in der Moortorstraße – inzwischen mit der Nummer 8.
Räumboote der Reichsmarine, ca. 1933. Adrett aufgereiht sehen sie auf den ersten Blick eher harmlos aus: schlanke Schiffe, die in der Sonne ankern, bemannt mit weißgekleideten Matrosen in sommerlich kurzen Hosen. Bei näherem Hinsehen erkennt man die Beflaggung der Reichsmarine und auf den Seiten der Führerkabinen das Adleremblem mit Hakenkreuz. War die kaiserliche Marine noch das "Lieblingsspielzeug" Wilhelms II. gewesen, hatte sie nach dem unrühmlichen Ende des Ersten Weltkriegs dramatisch an Ansehen eingebüßt. Durch die Auflagen des Versailler Vertrags stark eingeschränkt, erfolgte die Wiederaufrüstung zunächst heimlich, schließlich aber ganz unverhohlen: 1935 wurde die "Reichsmarine" in "Kriegsmarine" umbenannt. Räumboote werden zum Minensuchen an Küsten und in Häfen eingesetzt; der abgebildete Typ der Serie R 1-R 16 war zwischen 1932 und 1934 Einsatz (Freundlicher Hinweis an Thorsten Reich, Historisches Marinearchiv).
Friedrich Hülsmann, der in einer Hafenstadt lebte, interessierte sich für alle möglichen Arten von Schiffen und fotografierte sie häufig – in unterschiedlichen Stilen. Die Aufnahme der Räumboote folgt den Prinzipien der „Neuen Sachlichkeit“, deren Ziel u.a. die „ästhetische Beherrschung einer durch Industrie und Technik veränderten Lebenswirklichkeit“ war. (Herbert Molderings, Überlegungen zur Fotografie der Neuen Sachlichkeit und des Bauhauses)
Australiakai im Indiahafen Hamburg, ca. 1934. Die Hafenanlagen mit ihren Kränen und Schiffen faszinierten Friedrich Hülsmann ganz besonders. Immer wieder fotografierte er dort: im Stil der Neuen Sachlichkeit, ganz auf den Spuren etwa Albert Renger-Patzschs und den damals neuen Idealen von der "Schönheit der Technik" – aber auch als Beobachter z.B. von Passagieren oder Verlademanövern. Von den Kränen in den Industriehäfen existieren etliche Aufnahmen, mit denen Hülsmann verschiedene Blickwinkel ausprobierte.
Fensterbank mit Blumenvase: ein beliebtes Sujet für Amateurfotograf:innen, die Lichtspiel und Reflexionen auf spiegelnden Oberflächen erkunden können sowie die Wechselwirkung von Schärfe und Tiefenunschärfe. Hierzu arrangiert Friedrich Hülsmann in einem einfachen Wasserglas üppig gefüllte Pfingstrosen, auf die er den Focus setzt, während die Fernsicht aus dem Fenster völlig verschwimmt. Er folgt den Empfehlungen Wolf Dörings, der bei Aufnahmen im Freien zu bedenken gibt, dass "die Blumen oft unmerklich schwanken. [...] Weit einfacher ist es, Blumen im Zimmer und am Fenster mit der Kamera dazustellen. Da wird es bei dem vorhandenen Gegenlicht meist unerlässlich sein, mit einer Kunstlichtquelle vom Zimmer her aufzuhellen". Wie es aussieht, konnte Hülsmann dank herrlichem Sonnenschein darauf verzichten.
Deutsche Madonna. An einem Spätsommertag fotografiert Friedrich Hülsmann diese unbekannte junge Frau mit ihrem Kind. Lachend beobachtet sie das Kleine, das mit den Knöpfen ihres Kleides spielt. In leichter Untersicht und vor freiem Himmel aufgenommen, bekommt diese Mutter etwas ikonenhaftes. In der nationalsozialistischen Bevölkerungsideologie spielte das Bild der (deutschen) Mutter eine herausragende Rolle und eroberte schließlich sogar Plätze auf den Titelseiten von Modezeitschriften.
Der Heuwagen. In etlichen Aufnahmen dokumentiert Friedrich Hülsmann die landwirtschaftliche Arbeit im Alten Land am Übergang von traditionellen Gewerken zu maschinisierten Vorgängen. Besonders malerisch wirkt die Heuernte: mit tiefliegenden Horizont an den Bildkompositionen von C.D. Friedrich orientiert, assoziert die Fotografie das Motiv des Heuwagens von Hieronymus Bosch ebenso wie etliche impressionistische Gemälde, etwa von Camille Corot oder Claude Monet. Das Ochsengespann, das treuergeben seinen Zugdienst versieht, sowie die rechtschaffen arbeitenden Männer und Frauen entsprechen allerdings auch "typisch deutschen", romantischen Vorstellungen vom tätig wirkenden Leben in Naturverbundenheit.
Der arme Alte von Ahrensburg. Zufrieden und entspannt sitzt ein bärtiger Greis in einem Lehnstuhl aus Korbgeflecht und lässt sich von der Mittagssonne bescheinen. Die gepflegte Kinnzier, ein heller Hut, Blume im Knopfloch und gestreifte Hose geben ihm ein recht adrettes Ansehen. Wollen die Pantoffeln schon nicht so recht dazu passen, wird die Vorstellung eines behaglichen Lebensabends vollends durch die Behausung getrübt, vor deren Eingang es sich der Senior bequem gemacht hat: die Tür gehört zu einer der 22 (ursprünglich 24) "Gottesbuden", die sich in zwei Reihen um die Schloßkirche zu Ahrensburg ordnen. Von Peter Rantzau, dem Erbauer des Schlosses, wurden sie um 1600 als Bleibestatt für besonders bedürftige Dorfbewohner gestiftet – vergleichbar der Augsburger Fuggerei, einem "Sozialbau" der frühen Neuzeit. Bis heute werden die Wohnzellen zu einem günstigen Mietziens vergeben.
Ausgerechnet Eisenlager? Zweifellos gibt es zahllose pittoreskere Ansichten der wunderschönen, altehrwürdigen Hansestadt Lübeck. Warum Hülsmann die Wallhalbinsel als Standort wählt, um von dort die Häuserreihe an der Untertrave mit den dahinterliegenden Kirchtürmen von St. Marien und St. Petri zu fotografieren, wird wohl ein Rätsel bleiben. Statt der herrlichen Bürgerhäuser mit ihren typischen Treppengiebeln dominiert Paul G. Pätaus Eisenlager die vordere Bildmitte. Musste Hülsmann seinen Film "vollkriegen"?
Rast im Schwarzwald. Wahrscheinlich auf der Weiterfahrt an den Bodensee legten Hülsmanns eine Pause in der Pension Neuhof in Münstertal ein. Frau Hülsmann macht sich gerade am Kofferraum eines Autos zu schaffen – allerdings nicht am eigenen (dahinter parkenden) Wagen, denn das Provinzkennzeichen verweist auf den Neckarkreis. Das Gasthaus liegt, umgeben von Hügeln und inzwischen umgebaut, in einem heutigen Skigebiet. An der Eingangstür wird für Forellen und Coca Cola geworben. Auch während des "Dritten Reiches" gehörte dieses amerikanische, für den deutschen Markt in Essen abgefüllte Getränk zu den umsatzstarken Favoriten, es unterstützte die Olympischen Spiele von 1936 und belieferte die Reichsparteitage der NSDAP. Keineswegs aus politisch-ideologischen Gründen, sondern aufgrund von Rohstoffknappheit wurde die Limonade ab 1940 von der in Deutschland entwickelten "Fanta" vom Markt gedrängt.
Der Gasthof "Goldner Hirsch" am Weinmarkt 6 in Dinkelsbühl existiert heute noch. Friedrich Hülsmann erwischt eine Szene, die wie ein Filmstill wirkt: einer der Gäste unterhält sich gerade mit der Kellnerin, die neckisch den Kopf zur Seite hält, um "interessiert" zu lauschen. Machte das Lokal damals noch mit "fließend Wasser" auf den besonderen Service aufmerksam, werden heute "Wirtshausstube mit urigem Charme und fränkischer Küche sowie Übernachtungsmöglichkeiten" gepriesen. Dinkelsbühl gehört zu den deutschen Altstädten, die auch im 21. Jahrhundert mit historischem Ambiente und "Gemütlichkeit" punkten können.
Das in Norddeutschland beliebte "Ringreiten" hatte sich aus der mittelalterlichen Praxis des Ring- oder Ringelstechens, einer Geschicklichkeitsübung für Knappen zu Pferd, entwickelt und wird in einigen Regionen bis heute gepflegt. Hülsmann fertigte von diesem Turnier gleich mehrere Aufnahmen – mit und ohne das Balkengerüst, an dem sich der Ring befindet, der mit einer Lanze herunter geholt werden soll.
Vermutlich in Nördlingen fotografierte Friedrich Hülsmann um 1935 ein Storchennest. Die während der Brutzeit, also zwischen Anfang April und Anfang August, entstandene Aufnahme zeigt einen üppigen Horst auf dem Dach eines Wirtschaftsgebäudes hinter einem zur Straße gelegenen Giebelhaus. Der den Älteren noch als "Meister Adebar" (H. Chr. Andersen) oder "Kalif Storch" (Wilhelm Hauff) bekannte Zugvogel gilt im Volksmund auch als Überbringer von menschlichem Nachwuchs; zum Inbegriff der Elternschaft wurde er wohl, weil sich abwechselnd Männchen und Weibchen um ihre Jungen kümmern. Zu Hülsmanns kam der Klapperstorch allerdings nicht: das Ehepaar blieb kinderlos.
Wahrscheinlich im Lauf des Jahres 1932 erwarb Friedrich Hülsmann (geb. 1904) seine 6x6-Rolleiflex-Kamera, damals eine Marktneuheit. Erste Aufnahmen entstehen während einer Reise nach Italien, die Hülsmann ohne seine Frau unternimmt, und während der Weihnachtszeit gerät die jahreszeitlich mit Tannenzweigen und Kerzen geschmückte Wohnung intensiv in den Focus.
In den kommenden Jahren bis etwa 1937/38 drückte Hülsmann rund 5.000 mal auf den Auslöser, rund 3.800 Negative sind erhalten. Die Durchnummerierung der Negative erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt und möglicherweise von fremder Hand.
Sein Themenspektrum entspricht dem, was Amateur:innen, die keine kommerziellen Ziele verfolgen, gerne vor die Linse nahmen und nehmen: Familie und Freunde (bevorzugt in der Freizeit oder bei gemeinsamen Feiern), Kinder und Tiere, Bauwerke und Landschaften, Straßenszenen, Autos, Schiffe, Wolken, Kurioses...
Begreiflicherweise ist der Fotografierende selbst zumeist nicht „im Bild“, es sei denn als Schatten oder Spiegelung. Porträts, die ihn zeigen, sind entweder mit Selbstauslöser entstanden, oder eine – bisher nicht idenfizierte – Person lichtete ihn ab. Die sehr persönlichen Bildnisse von Friedrich Hülsmann am Strand schuf mit großer Wahrscheinlichkeit Ehefrau Gertrud.
Friedrich Hülsmann arbeitete damals als Werbeleiter für die Hamburger Hansa Mühle AG. Geradezu ideal verkörperte er den freundlich-gepflegten „Angestellten“, wie ihn Siegfried Kracauer in seiner soziologischen Studie aus dem Jahr 1930 beschrieb. Parallel zu dieser Tätigkeit beschäftigte sich Hülsmann mit kunstgeschichtlichen und volkskundlichen Themen.
unbekannte/r Fotograf/in, Friedrich und Gertrud Hülsmann während eines Ostseeurlaubs, ca. 1934. Im Negativkonvolut trägt die Aufnahme die prominente Ordnungsnummer „1“. Es handelt sich um eine der wenigen, auf denen beide Hülsmanns zu sehen sind; wahrscheinlich baten sie eine/n Freund/in oder eine Urlaubsbekanntschaft um dieses Porträt. Die Eheleute sind im Profil zu sehen, Gertrud sitzt auf dem Geländer einer Mole und schaut etwas nachdenklich drein, ihr Mann hat seine rechte Hand in diskreter Zärtlichkeit an ihre Hüfte gelegt. Offenbar freut er sich sehr über die Anwesenheit seiner Frau, um die er lange werben musste: die zehn Jahre ältere hatte zunächst gezögert, eine ernsthafte Beziehung mit ihm einzugehen, zumal seine beruflichen Aussichten etwas vage waren – sie selbst hatte auch noch die finanzielle Verantwortung für ihre früh verwitwete Mutter und jüngere Geschwister. Nach der 1929 geschlossenen Ehe blieben die Beiden 50 Jahre lang glücklich...
Unbekannte/r Fotograf/in, Friedrich Hülsmann in seinem Büro der Hansa Mühle AG, ca. 1934. Hülsmann sitzt mit Laborkittel und Krawatte an seinem Schreibtisch und blättert in Notizen. Konzentriert und leicht vornübergebeugt gibt er sich unbeobachtet, als bemerke er nicht, fotografiert zu werden. Ein Wandkalender, dessen Datum leider nicht zu entziffern ist, wird flankiert von einer Empfehlung des Hauses, mit Hansa-Lecithin zu entspannen und – einer gerahmten Fotografie! Es handelt sich um das Motiv der Schiffschraube (Negativ Nr. 1042), das Hülsmann vergrößert, dunkel passepartouriert und gerahmt hat. Im Negativbestand ist dies das einzige fotografische Dokument dafür, dass Hülsmann ein eigenes Bild als Positiv produzierte. Umso bemerkenswerter, dass es sich dabei nicht um eine der zahlreichen Idyllen aus dem Alten Land oder ein Porträt von Ehefrau Gertrud handelte, sondern um ein nautisches Detail, das der fotografischen Bildsprache der Neuen Sachlichkeit und dem Empfinden einer „Schönheit der Technik“ verpflichtet ist.
Friedrich Hülsmann in seiner Wohnung, Possmoorweg 61, 1934. Ob diese Aufnahmen mit Selbstauslöser entstanden, oder ob ihn beispielsweise seine Frau Gertrud fotografierte, ist nicht zu ermitteln. Da zu diesem Porträt (oder Selbstporträt) weitere Varianten existieren (vgl. Negative Nr. 0106 und 0107), wird seine Inszeniertheit überdeutlich. Der Abgebildete probiert verschiedene Posen des Connaisseurs regelrecht aus: er sitzt, die übereinander geschlagenen Beine mal in diese, mal in jene Richtung haltend, in einem Barocksessel und begutachtet verschiedene Gegenstände. Kunsthistorische Fachliteratur ist zu pittoresken Stilleben zu seinen Füßen arrangiert – in jedem Bild etwas anders. Die Figur, in deren Betrachtung Hülsmann versenkt scheint, ist in der nächstfolgenden Aufnahme zu erkennen. Der Größe und Oberfläche nach könnte es sich um eine vorchristliche Arbeit aus Tanagra in Böotien handeln: dort wurden weibliche Kleinplastiken aus Terrakotta hergestellt und als Glücksbringer oder Grabbeigaben verwendet. Dazu will nicht so recht die aufgeschlagene Seite eines Bildbandes passen, die offenbar den Ausschnitt aus einer um 1500 gemalten Kreuztragung oder Grablegung Christi zeigt.
Friedrich Hülsmann in seiner Wohnung, Possmoorweg 61, 1934. Mit ernstem Blick mustert der Abgebildete einen chinesischen Porzellanlöwen; die in der Aufnahme mit der Negativ-Nr. 105 betrachtete Tanagrafigur steht nun auf der hellen Kommode links neben dem Sitzenden. Die Fachliteratur ist jetzt anders platziert, als sei sie soeben noch benutzt worden; der aufgeschlagene Bildband liegt am Boden und lässt das Profil einer Dame der Renaissance sehen. Hülsmanns Schattensilhouette an der Wand hat eigenen Bildwert. Zum Anzug mit Krawatte und Einstecktuch kombiniert der künftige Kunsthändler halboffene Lederslipper, einen Pantoffeltyp, den er bis ins hohe Alter bevorzugte.
Friedrich Hülsmann in seiner Wohnung, Possmoorweg 61, 1934. Im Schein einer stoffbespannten Lampe widmet sich der Sammler einem silbernen Deckelgefäß mit bewegten Faltenzügen, möglicherweise einem Gewürzstreuer. Auf dem Schoß hält er ein Heft, als vergleiche er Notizen mit dem Gegenstand in seiner anderen Hand. Kunstbände liegen mit den augenscheinlichen Spuren ihrer Benutzung am Boden – ganz entsprechend den Empfehlungen für Interieurfotografie, selbst menschenleere Räume durch „Wohnlichkeitsattrappen“ wie aufgeschlagene Bücher oder halb leer getrunkene Teetassen zu beleben. Hingegen ignorierte Hülsmann bei der Gestaltung seines Appartments vollständig die zahlreichen bis 1933 erschienenen Ratgeber für zeitgemäßes Einrichten mit Chrom und Glas. Stattdessen erzeugte er mit der Wahl seiner Ausstattungsdinge einen größtmöglichen Gegensatz zur funktionalistischen Modernität des Miethauses im Possmoorweg, denn dieses trägt deutliche Merkmale der Bauhaus-Ära.
Unbekannte/r Fotograf/in (wahrscheinlich Gertrud Hülsmann), ein windiger Sommertag, ca. 1933. Das an einem Urlaubstag aufgenommene Porträt zeigt Friedrich Hülsmann in kniekurzen Hosen und mit von einer stärkeren Bö geblähtem Hemd. Das Haar ist zerzaust, die Augen sind – wohl wegen der blendenen Sonne – leicht zusammengekniffen. Umso intimer erscheint die Verbindung zwischen dem Fotografierten und der (mutmaßlichen) Fotografin, seiner Frau: die beiden sehen einander an, ein Blick, der durch das Objektiv der Kamera zum Bild wird. Und zum Dokument einer innigen Zuneigung, wie sie nicht nur in den ersten Ehejahren immer wieder sichtbar wurde.
Fotografische Selbstbildnisse gibt es, seit das Medium in den 1830er Jahren erfunden wurde. Eines der ältesten überlieferten Beispiele realisierte 1839 der Klempner Robert Cornelius, der seinen Apparat ausprobieren wollte und sich, die lange Belichtungszeit ausnutzend, nach dem Öffnen des Objektivs rasch vor die Kamera setzte. Bereits ein Jahr später inszenierte sich Hippolyte Bayard als Ertrunkener und eröffnete damit einen nicht mehr abreißenden Strom von fotografischen Experimenten mit dem eigenen Erscheinungsbild. In der Theorie mag die Frage, ob heutige „Selfies“ auch Selbstporträts sind, noch untentschieden sein. Die Gebrauchsweisen der Fotografie jedenfalls, etwa sich über die Kamera Aufschluss über das eigene Antlitz zu verschaffen und in bildnerischen Versuchen die Persönlichkeit zu formen, existieren seit über 180 Jahren. Ob Hülsmann sich selbst für ein neues Passbild Modell saß oder ausprobieren wollte, welche Krawatte ihm besser steht – mehrere Aufnahmen entstanden offensichtlich kurz nacheinander – spielt keine Rolle; als Ausdrucks- und Belichtungsstudien dokumentieren sie das Interesse des Fotografen an den Möglichkeiten seines Apparats und an der Entwicklung seiner Identität.
Selbstporträt aus einer ganzen Reihe von fotografischen Studien rund um das eigene Erscheinungsbild: Friedrich Hülsmann probiert vor der Kamera verschiedene Gesichtsausdrücke - und verschiedene Krawatten; als Hintergrund dient eine hell lackierte Tür.
Während der Überfahrt nach England 1934 fotografierten sich Friedrich und Gertrud Hülsmann mehrfach gegenseitig, u.a. jeweils in die Lektüre des Buchs von G.J. Renier „Sind die Engländer Menschen wie wir?“ vertieft. Gertrud gelang die überaus vertraute Aufnahme ihres sichtlich entspannten Mannes, der etwas verschlafen in die Nachmittagssonne blinzelt. Hat sie ihn gerade geweckt oder wird er jeden Moment ein Nickerchen machen? Das Oberteil eines Badeanzugs und ein Frotteemantel, die etwas nachlässig über die Lehne des Deckstuhls gebreitet sind, lassen jedenfalls auf bereits absolvierte sportliche Aktivitäten schließen.
„Du bist schön von hinten“ sang die deutsch-französische Band Stereo Total 1997. An den jungen Herrn Hülsmann wird das Ensemble dabei sicher nicht gedacht haben, obwohl seiner Frau wirklich eine sehr attraktive Rückenansicht am Strand gelungen ist. Mit in den Nacken gelegtem Kopf trotzt der Wahlhamburger den Elementen, hier in Gestalt tosender Wellen. Zweifellos dürfte Gertrud Hülsmann Bilder von C.D. Friedrich vor dem inneren Auge gehabt haben, als sie den Auslöser betätigte. Der „Wanderer über dem Nebelmeer“, die „Frau vor der untergehenden Sonne“ oder Paare, die den Mond bestaunen – bei dem berühmtesten Maler der Romantik waren auch die meisten Figuren „schön von hinten“.
Ein halbes dutzend Aufnahmen (Negativnummern 930–935) zeigt Friedrich Hülsmann, wie er eine historische Taschenuhr repariert. Ob er sich selbst porträtierte oder fotografiert wurde, ist nicht mehr zu entscheiden. Charakteristisch ist die Akribie, mit der er sich diesem minutiösen Vorgang widmet. Der spätere Antiquitätenhändler musste schließlich ein Experte für genaues Hinsehen sein.
Die Fotografie aus großer Nähe lässt gepflegte schlanke Finger und den ziselierten Partnerring zur Geltung kommen: in Ermangelung eines Adelswappens schmückten sich die Eheleute mit ihren Allianz-Initialen H(ülsmann) und S(chlüter), die in die Siegelplatte graviert wurden.
Das liebste und meist fotografierte Modell des Amateurfotografen Friedrich Hülsmann war seine Frau Gertrud. Die zehn Jahre Ältere präsentierte sich als attraktive und selbstbewusste Partnerin auf Augenhöhe – noch ganz im Stil der "neuen Frau" der 1920er Jahre. Unbeeindruckt vom aufkommenden Ideal der "deutschen Mutter" pflegte Gertrud Hülsmann ihr sportlich-aktives, modisches Image und ihre kulturellen Interessen.
Gerade im Umgang mit Kindern bewies Hülsmann psychologisches Geschick und Feingefühl: vor seiner Kamera fühlten sich die Kleinen anscheinend unbeobachtet und agierten oft völlig selbstvergessen. Dabei entstanden anrührende Momente – für heutige Betrachter freilich nicht ohne Trauer: denn mancher der ahnungslosen jungen Burschen dürfte alsSoldat im Zweiten Weltkrieg schon wenige Jahre später sein Leben verloren haben, und auch unter der Zivilbevölkerung waren ungeachtet von Alter und Geschlecht die späteren Opfer zahlreich.
Im ländlichen Raum vor den Toren Hamburgs "porträtierte" Friedrich Hülsmann mit der gleichen Aufmerksamkeit "Nutztiere": Kühe, Schafe, Hühner oder Pferde, die noch in häufig zum Ziehen von Lasten eingesetzt wurden. Blumen und Blüten waren gerade für fotografische Anfänger beliebte Motive: lebendig, aber "stillstehend".
Friedrich Hülsmann porträtiert seine Frau Gertrud im Profil (ca. 1934), an der Reling eines Schiffes sitzend; die vielen Sommersprossen in ihrem Gesicht lassen die Vermutung zu, daß der Hochsommer vielleicht schon vorbei ist, zumal sie ein leichtes Wollensemble aus schmalem Rock und eienr kragenlosen Jacke über einer blumengemusterten Schluppenbluse trägt. Ein lederner Überzieher legt neben ihr auf der Sitzbank. Mit ihrem im Nacken kurz geschnittenen Haar sieht Gertrud Hülsmann aus wie „frisch vom Friseur“. Während viele Gleichaltrige zu dieser Zeit schon wie vorzeitig verblühte Matronen wirkten, macht sie – hier knapp über 40 – einen jugendlich-schlanken Eindruck. Gertrud Hülsmann hält am Erscheinungsbild der selbstbewussten „Neuen Frau“ der 1920er Jahre fest, das die Nationalsozialisten bereits mit dem Image der „Deutschen Mutter“ zu überformen trachteten.
komplementäre Aufnahme zum Profilporträt an der Reling. Frau Hülsmann hat den Kopf nun leicht in die entgegengesetzte Richtung gewendet, der Wind hat ihr Haar zerzaust und auch die lose Kragenschleife ihrer Bluse ist zur Seite geweht.
Bei einem Ausflug zur See, vielleicht im Sommer 1934, fotografierte Friedrich Hülsmann mehrfach seine Frau Gertrud: an der Reling sitzend oder, wie hier, am Heck des Schiffes, das eine Spur von Kielwasser nach sich zieht. Gegen die starke Wirkung der Sonne schirmt sie ihre – ohnehin geschlossenen – Augen mit der Hand ab. Die Pose der am Heck gelagerten Gertrud Hülsmann erinnert an eine in der amerikanischen Vogue vom 15.Juli 1928 veröffentlichten Modefotografie von Edward Steichen, die u.a. Lee Miller zeigt.
Wahrscheinlich im Sommer 1934 fotografiert Friedrich Hülsmann seine Frau leicht von hinten und möglicherweise unbemerkt, wie sie gerade eine Laufmasche an ihrem linken Strumpf repariert. Dazu hat sie auf einer niedrigen Steinmauer Platz genommen. Neben ihr liegen eine bereits etwas abgenutzte Handtasche aus Reptil-Leder und zwei Lederetuis (eines davon enthielt das Nähzeug). Ein weicher Hut und ein paar Lederhandschuhe verdecken weitgehend eine Ausgabe der "Berliner Illustrirten Zeitung" – dieses Unterhaltungsmagazin aus dem Ullstein-Verlagsimperium wurde von beiden Hülsmanns offenbar gern gelesen und ist auf verschiedenen Aufnahmen zu sehen.
Friedrich Hülsmann porträtiert seine Frau ca. 1934 im Urlaub an der deutschen Ostsee. Geblendet von der Sonne lacht sie etwas gequält in die Kamera, der Wind hat ihre Haare verwirbelt und bläht den kurzen Ärmel ihrer Bluse, was eine leichte Bewegungsunschärfe in der Aufnahme entstehen ließ. Die Fotografie entstand vielleicht am gleichen Tag wie die Bilder, die sie an einer Reling sitzend zeigen, denn sie trägt identische Kleidung (hier ohne Jacke); zwei Herren zu ihren Seiten haben bereits die Oberkörper entblößt, wahrscheinlich um zu baden.
Im August 1933 reisten Friedrich und Gertrud Hülsmann mit dem Schiff nach England. Die Eheleute fotografierten einander mehrmals an Deck; hier liest Frau Hülsmann in einer Ausgabe der rechtskonservativen „Deutschen Allgemeinen Zeitung“, die Augen gegen das blendende Sonnenlicht mit der Hand abgeschirmt. Auf der Titelseite wird unter der Überschrift „Nationales Bekenntnis in Ost und West“ über die „Ostland-Treuefahrt“ berichtet: vom 23. August bis 2. September 1933 versammelten sich in Clubs organisierte Automobilisten zu einer „reichsweiten Sternfahrt“ zum Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen. Da der Anlass für diese Fahrt der 19. Jahrestag der Tannenbergschlacht (26.-30. August) war und bereits die Ankunft der „Treuerfahrer“ erwartet wird, dürfte die Zeitungsausgabe in diesen Zeitraum zu datieren sein. Vermutlich fand Frau Hülsmann das Exemplar an Deck vor, denn die Lektüre passt nicht in das politische Profil und zu den übrigen Lesegewohnheiten des Paares.
Gertrud Hülsmann an Deck eines Schiffes, wahrscheinlich Sommer 1934 oder 1935. Strahlend lacht sie ihren fotografierenden Mann an, wobei sie etwas schadhafte Zähne entblößt. Der besonders natürliche, unbefangene Ausdruck lässt die etwa 40jährige entspannt und mädchenhaft wirken; der Wind hat ihren Blusenkragen hochgeklappt und lässt ihr Haar flattern, so dass eine leichte Bewegungsunschärfe entsteht.
Sommerliche Aufnahme, wahrscheinlich ca. 1934; Gertrud Hülsmann kämmt ihre Haare mit Hilfe eines kleinen Taschenspiegels, ihre Haut ist von der Sonne gebräunt. An der rechten Hand trägt sie den gleichen Partnerring mit den Initialien H(ülsmann) und S(chlüter) wie ihr Mann
Friedrich Hülsmann inszeniert seine Frau Gertrud im Stil einer historischen Aufnahme: die Gattin sitzt, gehüllt in einen fransenbesetzten Umhang, mit nach links geneigtem Profil in einem stoffbezogenen Lehnsessel des 18. Jahrhunderts. Das von rechts durch ein Fenster einfallende Sonnenlicht wirft einen Schatten des Kopfes von Frau Hülsmann auf die Wand. An der Wand eine kleine gerahmte, vermutlich niederländische Landschaft aus dem 17. oder 18. Jahrhundert sowie ein weiteres Bild oder ein Spiegel (wegen der starken Reflexion nicht zu erkennen) und ein mit Blumenmotiv bemalter Teller. Auf einem Tischchen mit gedrechseltem Fuß ein Bronzeleuchter und eine Schale.
Gertrud Hülsmann im Halbprofil an einer Küste, wahrscheinlich Sommer 1933 oder 1934. Hülsmann „erwischt“ seine Frau in einem nachdenklichen, fast skeptischen Augenblick. Vielleicht fröstelt sie auch nur, denn der linke Oberarm zeigt eine leichte Gänsehaut, und sie sollte die unter den Arm geklemmte karierte Wolljacke wieder anziehen. Das vom Wind leicht ins Gesicht gewehte Haar ist wie das eines Mannes kurz geschnitten, eine Mode, die bereits in den 1920er jahren populär war und einen Kontrast zum "fraulichen" Idealtypus einer Reichsdeutschen während der NS-Zeit bietet.
Gertrud Hülsmann an Bord eines Schiffes, vielleicht auf der Überfahrt nach England im Spätsommer 1933. Der starke Wind weht ihr den Rock zwischen die Beine, lüftet ihre Jacke und reißt ihr fast eine Zeitung aus den Händen, die sie gerade zu bändigen versucht. Der wirbelnde Saum und das flatternde Nachrichtenblatt lassen die leicht unscharfe Aufnahme mit Gertrud im Zentrum sehr dynamisch wirken.
Das liebste und meist fotografierte Modell des Amateurfotografen Friedrich Hülsmann war seine Frau Gertrud. Die zehn Jahre Ältere präsentierte sich als attraktive und selbstbewusste Partnerin auf Augenhöhe – noch ganz im Stil der "neuen Frau" der 1920er Jahre. Unbeeindruckt vom aufkommenden Ideal der "deutschen Mutter" pflegte Gertrud Hülsmann ihr sportlich-aktives, modisches Image und ihre kulturellen Interessen.
Gerade im Umgang mit Kindern bewies Hülsmann psychologisches Geschick und Feingefühl: vor seiner Kamera fühlten sich die Kleinen anscheinend unbeobachtet und agierten oft völlig selbstvergessen. Dabei entstanden anrührende Momente – für heutige Betrachter freilich nicht ohne Trauer: denn mancher der ahnungslosen jungen Burschen dürfte alsSoldat im Zweiten Weltkrieg schon wenige Jahre später sein Leben verloren haben, und auch unter der Zivilbevölkerung waren ungeachtet von Alter und Geschlecht die späteren Opfer zahlreich.
Im ländlichen Raum vor den Toren Hamburgs "porträtierte" Friedrich Hülsmann mit der gleichen Aufmerksamkeit "Nutztiere": Kühe, Schafe, Hühner oder Pferde, die noch in häufig zum Ziehen von Lasten eingesetzt wurden. Blumen und Blüten waren gerade für fotografische Anfänger beliebte Motive: lebendig, aber "stillstehend".
Das liebste und meist fotografierte Modell des Amateurfotografen Friedrich Hülsmann war seine Frau Gertrud. Die zehn Jahre Ältere präsentierte sich als attraktive und selbstbewusste Partnerin auf Augenhöhe – noch ganz im Stil der "neuen Frau" der 1920er Jahre. Unbeeindruckt vom aufkommenden Ideal der "deutschen Mutter" pflegte Gertrud Hülsmann ihr sportlich-aktives, modisches Image und ihre kulturellen Interessen.
Gerade im Umgang mit Kindern bewies Hülsmann psychologisches Geschick und Feingefühl: vor seiner Kamera fühlten sich die Kleinen anscheinend unbeobachtet und agierten oft völlig selbstvergessen. Dabei entstanden anrührende Momente – für heutige Betrachter freilich nicht ohne Trauer: denn mancher der ahnungslosen jungen Burschen dürfte alsSoldat im Zweiten Weltkrieg schon wenige Jahre später sein Leben verloren haben, und auch unter der Zivilbevölkerung waren ungeachtet von Alter und Geschlecht die späteren Opfer zahlreich.
Im ländlichen Raum vor den Toren Hamburgs "porträtierte" Friedrich Hülsmann mit der gleichen Aufmerksamkeit "Nutztiere": Kühe, Schafe, Hühner oder Pferde, die noch in häufig zum Ziehen von Lasten eingesetzt wurden. Blumen und Blüten waren gerade für fotografische Anfänger beliebte Motive: lebendig, aber "stillstehend".
Das liebste und meist fotografierte Modell des Amateurfotografen Friedrich Hülsmann war seine Frau Gertrud. Die zehn Jahre Ältere präsentierte sich als attraktive und selbstbewusste Partnerin auf Augenhöhe – noch ganz im Stil der "neuen Frau" der 1920er Jahre. Unbeeindruckt vom aufkommenden Ideal der "deutschen Mutter" pflegte Gertrud Hülsmann ihr sportlich-aktives, modisches Image und ihre kulturellen Interessen.
Gerade im Umgang mit Kindern bewies Hülsmann psychologisches Geschick und Feingefühl: vor seiner Kamera fühlten sich die Kleinen anscheinend unbeobachtet und agierten oft völlig selbstvergessen. Dabei entstanden anrührende Momente – für heutige Betrachter freilich nicht ohne Trauer: denn mancher der ahnungslosen jungen Burschen dürfte alsSoldat im Zweiten Weltkrieg schon wenige Jahre später sein Leben verloren haben, und auch unter der Zivilbevölkerung waren ungeachtet von Alter und Geschlecht die späteren Opfer zahlreich.
Im ländlichen Raum vor den Toren Hamburgs "porträtierte" Friedrich Hülsmann mit der gleichen Aufmerksamkeit "Nutztiere": Kühe, Schafe, Hühner oder Pferde, die noch in häufig zum Ziehen von Lasten eingesetzt wurden. Blumen und Blüten waren gerade für fotografische Anfänger beliebte Motive: lebendig, aber "stillstehend".
Das liebste und meist fotografierte Modell des Amateurfotografen Friedrich Hülsmann war seine Frau Gertrud. Die zehn Jahre Ältere präsentierte sich als attraktive und selbstbewusste Partnerin auf Augenhöhe – noch ganz im Stil der "neuen Frau" der 1920er Jahre. Unbeeindruckt vom aufkommenden Ideal der "deutschen Mutter" pflegte Gertrud Hülsmann ihr sportlich-aktives, modisches Image und ihre kulturellen Interessen.
Gerade im Umgang mit Kindern bewies Hülsmann psychologisches Geschick und Feingefühl: vor seiner Kamera fühlten sich die Kleinen anscheinend unbeobachtet und agierten oft völlig selbstvergessen. Dabei entstanden anrührende Momente – für heutige Betrachter freilich nicht ohne Trauer: denn mancher der ahnungslosen jungen Burschen dürfte alsSoldat im Zweiten Weltkrieg schon wenige Jahre später sein Leben verloren haben, und auch unter der Zivilbevölkerung waren ungeachtet von Alter und Geschlecht die späteren Opfer zahlreich.
Im ländlichen Raum vor den Toren Hamburgs "porträtierte" Friedrich Hülsmann mit der gleichen Aufmerksamkeit "Nutztiere": Kühe, Schafe, Hühner oder Pferde, die noch in häufig zum Ziehen von Lasten eingesetzt wurden. Blumen und Blüten waren gerade für fotografische Anfänger beliebte Motive: lebendig, aber "stillstehend".
Junge Frau an Bord eines Schiffes, wahrscheinlich Sommer 1933 oder 1934. Hülsmann fotografierte die Frau mit buschigen Augenbrauen und kurzem Haar mindestens zweimal; ob es sich um eine Zufallsbekanntschaft oder möglicherweise die jüngere Schwester seiner Frau handelt, konnte bisher nicht identifiziert werden. Zu ihren Füßen liegt die Kameratasche, in der Hülsmann sonst seine Rolleiflex verstaute.
Drei bisher nicht identifizierte Erwachsene am Kamin der Wohnung Possmoorweg: sie haben es sich bäuchlings vor der aus Ziegeln gemauerten Feuerstelle „bequem“ gemacht und blicken versonnen in die Flammen, als beschäftigten sie sich – jeder für sich – mit der etwas bangen Frage, was die Zukunft im nationalsozialistischen Deutschland wohl bringen mag: in Anbetracht der Zeitläufte erscheint die winterliche Aufnahme schicksalhaft aufgeladen. Die Trinkschalen aus einfachem chinesischen Porzellan sind bereits geleert, billige Alltagsvarianten der kostbaren Koppchen, die Hülsmanns in ihrer Sammlung verwahrten.
Gertrud Hülsmann und ein Freund ihres Mannes waten selbstvergessen in hochgeschürzter Kleidung durch einen Flusslauf, wahrscheinlich im Alten Land. Die Aufnahme berührt durch die geschwisterliche Vertrautheit der beiden Dargestellten und die sommerliche Entspanntheit der unaufgeregten Landschaft. Die Sonne zeichnet feine Lichtspiele auf der Wasseroberfläche.
Aufnahme mit Wasserlilien am Ufer eines Teichs, wahrscheinlich im Hamburger Botanischen Garten Planten un Blomen. Wie viele andere Fotoamateur:innen versuchte sich auch Friedrich Hülsmann mit der Kamera an Pflanzenmotiven – etliche Ratgeberbücher empfahlen dies, denn es handele sich um einen lebendigen Gegenstand, der doch mehr oder weniger stillhält und daher besonders geeignet sei für das Ausprobieren von unterschiedlichen Belichtungen und Schärfeeinstellungen.
Fotografische Studie mit einem Doldengewächs, vielleicht Giersch. Hülsmann nahm die konturierte Blütenform und den haarigen Stängel in den Focus, die Wiese, auf der die Pflanze wächst, bleibt unscharf, der Bildhintergrund undefiniert. Das fotografische Pflanzenporträt hatte mit Karl Blossfeldts Publikation "Urformen der Kunst" zweifellos Auftrieb erfahren: erst wenige Jahre zuvor, 1928, erschienen hatte sein Buch vielen Amateur:innen wichtige Anstöße gegeben.
Kakteenarrangement, vielleicht im botanischen Garten Planten und Blomen. Hülsmann setzte den fotografischen Focus auf die Pflanzen in der Bildmitte; Ränder, Vorder- und Hintergrund bleiben unscharf. Viel geliebt und viel gescholten – der Kaktus als Topfpflanze erfreute sich seit dem 19. Jahrhundert großer Beliebtheit, wurde aber auch belächelt (Carl Spitzweg, "der Kaktusfreund") und geschmäht: so soll Walter Gropius veranlasst haben, die Sukkulenten seiner Frau Ise aus der gemeinsamen Bauhauswohnung zu entfernen, bevor sie für eine Publikation fotografiert werden durfte.
Zum Entstehungszeitpunkt der Aufnahme (ca. 1934) popularisierte ein Schlager der Comedian Harmonists das Sukkulentengewächs jedenfalls ganz ungemein: "Mein kleiner grüner Kaktus..."
Porträt einer Dahlie, ca. 1933/34. Gertrud Hülsmann, von der nur der Unterarm und die Hand zu sehen sind, biegt eine Dahlie leicht zu sich heran, wie um dem Stängel eine optimale Seitwärtsneigung zu geben. Die Blume ist mit strahlendem Licht von oben fotografiert. Auch Albert Renger-Patzsch hatte der Dahlienblüte in seinem Buch "Die Welt ist schön" (1928) besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Spielende Kinder im alten Land. Drei kleine Mädchen haben einen am Rand der Dorfstraße abgestellten Karren erklommen. Während zwei von ihnen den Fotografen nicht zu bemerken scheinen, hat das dritte Blickkontakt mit Friedrich Hülsmann und lächelt ihn frech an. Der rechte Arm scheint wie zu einer Parodie des "deutschen Grußes" erhoben, vielleicht zeigt das Kind aber auch nur auf den Mann mit der Kamera, den es gerade entdeckt hat.
Blonder Junge an einem Steg. Die Sommerferien der Jahre 1934, 1935 und 1936 verbrachten die Eheleute Hülsmann in Dänemark. Hier entstanden unbeschwerte Strandaufnahmen, Bilder unbändiger Lebensfreude und Sorglosigkeit. Entspannte Menschen balgen sich bei Sport und Spiel oder tummeln sich auf den Promenaden. Der weizenblonde, etwa 12jährige Junge, vielleicht ein kleiner Däne, hat sich am weißlackierten Geländer eines Stegs niedergelassen, der ins Meer führt. Konzentriert beobachtet er etwas, das sich gerade im Wasser abspielt, seine nackten Sohlen sind voller Sand und seine Kleidung ist so weit, als müsse sie ihn noch durch die nächsten Sommer begleiten. Die Lichtreflexe auf der leicht bewegten Meeresoberfläche, die Verteilung von Licht und Schatten verraten einen inzwischen geübten Fotografen mit einem sicheren Gespür für den besonderen Augenblick.
ca. 1935; zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen, machen sich gerade gleichzeitig an ihren Strümpfen zu schaffen. Beide tragen zeittypische Frisuren: der Junge einen Haarschnitt mit extrem kurzen Pony und ausrasierten Seitenpartien, das Mädchen eine große "Propellerschleife". Durch die Bewegungsunschärfe ist das graphische Muster der Kleiderschürze in einen turbulenten Wirbel geraten.
Vier Kinder, drei Buben und ein Mädchen, wahrscheinlich aus dem Alten Land, sind beim Spielen völlig außer sich geraten: zwei Knaben in kurzen Hosen wälzen sich in ekstatischem Gelächter am Boden, das Mädchen mit verrutschter Schürze verbirgt sein Gesicht am Rücken des Jungen, dessen verdrehte Hände irgendwohin zu weisen scheinen; lediglich der dritte Junge kauert ernst in einer Mauerecke, als ginge ihn das Toben seiner Freunde nichts an, oder als habe ihn eine Vision jenseits des gemeinsamen Spiels erfasst. Die wahrscheinlich Ende der 1920er Jahre geborenen Kinder haben schwere Zeiten vor sich: Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst und vielleicht sogar ein viel zu früher Einsatz in den Verteidigungsschlachten der letzten Kriegstage. Ob der Junge in Sandalen von all dem schon etwas ahnt, während sich seine Kameraden grenzenloser Heiterkeit hingeben?
In der Erfurter Waagegasse fotografiert Friedrich Hülsmann einen kleinen Jungen mit zerbeulter, hochgerutschter Trägerhose. Er hält beide Hände vor die Stirn und wendet den Kopf etwas ab, der Mund ist geöffnet. Blendet ihn die Sonne? Der kurze Schatten lässt vermuten, dass sie hoch steht, die Aufnahme ist also vermutlich um die Mittagszeit entstanden. Wahrscheinlich ist deshalb auch so wenig los in der verwinkelten Waagegasse. Mit ihren Speichergebäuden aus dem 16. und 17. Jahrhundert gehört sie heute zu den noch erhaltenen historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Warum wirkt der Junge so verzweifelt? Hat er eine Beule am Kopf oder ist er einfach nur müde? Haben die anderen Kinder nicht mit ihm spielen wollen? Hat seine Mutter ihn stehen lassen? Verlor er seinen liebsten Teddybär? Wollte ihm niemand ein Eis kaufen?
Ein weiteres Beispiel für das Geschick Friedrich Hülsmanns, Kinder zu fotografieren, ohne dass sie es zu bemerken scheinen.
Vorbereitungen für eine Veranstaltung auf dem Erfurter Domplatz. Aus der thüringischen Stadt Erfurt sind mehrere fotografische Motive aus der Kamera von Friedrich Hülsmann erhalten: die Waagegasse gleich mehrmals, sowie die Krämerbrücke, idyllische Ansichten von Häusern an der Gera, die gotische Severikirche und der Domplatz – von der luftigen Höhe einer Dombesteigung aus gesehen und aus unmittelbarer Nähe: im Licht eines späten Nachmittags spielen Kinder zwischen einfachen Holzbänken, die gerade erst montiert wurden. Ein Junge ahmt die Arbeiten in verkleinertem Maßstab nach, indem er eine Miniaturbank aus einem Brettchen auf gestapelten Holzscheiben zu formt, während zwei weitere Jungen die Sitzbretter als Hindernisse beim Hürdenlauf nutzen. Ob die Bänke für eine Kundgebung, eine Freiluftmesse oder ein Konzert errichtet wurden, konnte bisher nicht geklärt werden. Im Hintergrund erkennt man noch den Sockel des 1777 aufgestellten "Erthal-Obelisken".
Porträt eines Jungen im Matrosenanzug, ca. 1935. Ein Knabe hat sein Gesicht in den Schoß seiner Mutter oder großen Schwester gebettet, gestützt von deren Hand, die er mit den Lippen sanft liebkost. Wer würde da nicht an den anmutigen Tadzio aus "Tod in Venedig" denken? Was mochte in Friedrich Hülsmann vorgegangen sein, als er diese Szene von äußerster Intimität, noch dazu aus großer Nähe, fotografierte? Schon in wenigen Jahren würde ein furchtbarer Krieg ausbrechen, an dem der Bube, kaum erwachsen, aller Wahrscheinlichkeit nach teilzunehmen hatte.
Aufnahme eines badenden Mädchens, ca. 1935; Friedrich Hülsmann fotografiert die kleine Badenixe mit dem entrückt lächelnden Puppengesicht mehrmals, im Wasser und am Strand, mit und ohne Badeanzug. Hier hockt sie gerade dort, wo das Meer noch ganz flach und klar ist – eine herrliche Erfrischung an einem heißen Tag. Das Kindergesicht leuchtet wie mit einem Scheinwerfer angestrahlt – Friedrich Hülsmann dürfte schon mit den Füßen im Wasser gestanden haben.
Kinder am Strand, ca. 1935. Das Mädchen, das Hülsmann auch beim Baden fotografierte, und zwei Knaben im Bildhintergrund bauen Sandburgen – während die Jungs bereits Wälle errichtet haben, scheint das Mädchen mit heftiger Gebärde ein störendes Insekt abzuwehren – dabei entsteht eine sehr graziöse Pose, die Friedrich Hülsmann mit seinem Gespür für den richtigen Augenblick festhält.
Zwei Mädchen haben das Geländer einer "Landungsbrücke" erklommen, um von dort auf den Strand herabzuschauen; das größere, von der Sonne schon recht gebräunte, in einer vom Wind aufgeblähten Hose, hält sich an einem Mast fest; daneben mahnt ein Schild der "staatl. Kurverwaltung", dass "nach § 2 der Strandordnung … das Betreten der Landungsbrücke im Badeanzuge ohne umgelegten Bademantel verboten" sei. Offenbar versuchte man das Vordringen allzu loser Sitten oder gar einer Freikörperkultur, die sich seit der Lebensreform um 1900 wachsender Beliebtheit erfreute, einzudämmen.
Erntefest im Alt Land, ca. 1935. Vier kräftige Pferde ziehen einen Heuwagen, auf dem die Erntekrone durch das Dorf gefahren wird. Seit 1933 hatte die nationalsozialistische Regierung Versuche unternommen, das christlich geprägte Erntedankfest (1. Sonntag im Oktober) zu profanieren und im Sinne der Blut-und-Boden-Ideologie zu einem hohen nationalen Feiertag zu machen, der die Bedeutung des "Reichsbauernstandes" repräsentieren sollte. Hülsmann fotografiert ein solches "Reichserntedankfest" in ländlicher Umgebung; eher verhalten und unauffällig wehen pflichtschuldig aufgehängte Hakenkreuzfahnen, während sich die spärliche Bevölkerung rechts und links der kopfsteingepflasterten Straße eingefunden hat. Hülsmann zeigte kein fotografisches Interesse für die symbolische Praxis des "dritten Reiches" – nur ganz vereinzelt und nur dort, wo sie unvermeidlich ins Bild gerieten, sind typische Zeichen der NS-Regierung zu sehen. Aufgrund der weitgehend lückenlosen Nummerierung der Negative ist eher unwahrscheinlich, dass Hülsmann nach dem Zweiten Weltkrieg größere Mengen "belasteten" Bildmaterials aussortiert hat.
Gänseschar, ca. 1935. Wahrscheinlich außerhalb Hamburgs fotografiert Friedrich Hülsmann Gänse und Puten eines Geflügelhofs. Einige der Tiere mustern interessiert den Fotografen, dem es – ähnlich wie bei Kindern – immer wieder gelang, das Vertrauen seiner lebenden Motive zu gewinnen und sich ihnen nähern zu können, ohne sie zu verscheuchen oder aufzuschrecken. Im Hintergrund versammelt ein Mehrparteienhaus potentielle Abnehmer:innen für das Geflügel. Eine moderne Funktionsarchitektur und das Ende eines Gleises könnten darauf hindeuten, daß dieses Viertel sich erst am Beginn seiner infrastrukturellen Erschließung befindet.
Kälbchen, ca. 1935. Im Alten Land mit seinen fruchtbaren Obstbäumen und Wiesen fand Friedrich Hülsmann eine weitgehend vorindustrielle Landwirtschaft im "Einklang mit der Natur" vor. Die dort tätigen Menschen arbeiteten noch wie vor hundert Jahren fast ohne Einsatz von Maschinen, Nutztiere lebten mehr oder weniger artgerecht mit Auslauf und in symbiotischer Nähe zu Bauernfamilien. Entsprechend gelangen Hülsmann verschiedene "charaktervolle" Tierporträts: sie erscheinen wie beseelte Geschöpfe mit eigener Daseinsberechtigung. Das in der Mittagssonne ruhende Kalb hält direkten Blickkontakt mit dem Fotografen und hat die Ohren aufmerksam aufgestellt.
Urlaubsbegegnung am Pier, wahrscheinlich deutsche Ostsee, ca 1936. Friedrich Hülsmann war ein geschickter und aufmerksamer Beobachter seiner Mitmenschen. Da er in die Rolleiflex, die meist um den Hals hängend getragen wurde, von oben hineinblickte, dürften Viele gar nicht bemerkt haben, daß sie fotografiert wurden. So schaut auch der junge Tourist mit Hornbrille und verwegener Haartolle über den Mann mit der Kamera hinweg. Von einem Steg aus richtet er den Blick in die Ferne; dabei entgeht ihm wohl, daß ihn eine junge Urlauberin von der Seite anschmachtet. Interessiert betrachtet sie den wohlgeformten nackten Oberkörper, während sich ihre Schwester, die ihr wie ein Zwilling gleicht, auf das Meer oder den Strand schaut.
Zwei Schwestern an Bord eines Schiffes. Hülsmann fotografiert die beiden etwa 5 und 8 Jahre alten, gleichgekleideten Mädchen aus leichter Untersicht, vielleicht ist er zum Fotografieren in die Knie gegangen. Das Sonnenlicht zeichnet lebhafte Schatten auf dem Gesicht der jüngeren, die sich mit staunend geöffnetem Mund nach links abwendet, während die Ältere mit eher bekümmertem Ausdruck direkt in die Kamera blickt. Wurde sie gerade am Ohr gepiekt, das sie mit zwei Fingern der linken Hand hält, oder bereitet ihr die Abreise Kummer? Das feine psychologisierende Porträt ist ein weiteres Beispiel für das große Einfühlungsvermögen von Friedrich Hülsmann als Kinderfotograf.
Kindergruppe, wahrscheinlich um 1935 im Alten Land aufgenommen. Zwei gleichgekleidete Mädchen stehen mit einer größeren Schwester in einem Feld mit Kohlpflanzen. Die kleineren Mädchen haben zum Schutz gegen das blendende Sonnenlicht die Arme gehoben – alle drei blicken zum Fotografen, der sich für eine Komposition mit freier Bildmitte entschieden hat. Von einem weiteren Kind ist am linken Rand nur eine Hand mit einem Ball zu sehen.
Gertrud Hülsmann mit einer Bekannten im Dänemarkurlaub 1936. Die beiden Frauen erklimmen eine Leiter am Strand, die vielelicht zu einer Aussichtsplattform führt. An diesem sonnigen, etwas windigen Tag entstanden etliche Aufnahmen – Friedrich Hülsmann muß sich in einer wahren Fotoekstase befunden haben, und man hört geradezu das fröhliche Rufen und Lachen der Freundinnen.
Gertrud Hülsmann mit einer Bekannten im Dänemarkurlaub 1936. Die beiden Frauen turnen auf einer Leiter am Strand. Die Aufnahme erinnert an zeitgenössische Modefotografien, die seit den späten 1920er Jahren oft von sportlichen Aktivitäten inspiriert waren. Das Spiel von Licht und Schatten lässt die definierte Armmuskulatur von Frau Hülsmann deutlich hervortreten, nachdem sie ihre Jacke abgelegt hat.
Pferdefamilie, wahrscheinlich um 1935 im Alten Land aufgenommen. Hülsmann fängt den intimen Augenblick ein, in dem zwei Füllen einander beriechen, ihre Körper sind fast symmetrisch und wie zu einer Skulptur "angeordnet", ein älteres Pferd, vielleicht die Mutterstute, schaut von links ins Bild. Der niedrig gewählte Horizont lässt Platz für sommerliche Wolkengebilde. Eine ähnliche Komposition der Tierkörper findet sich in Albert Renger-Patzschs Buch, "die Welt ist schön", das 1928 erschien und von Thomas Mann in der Berliner Illustrirten Zeitung positiv rezensiert wurde. Hülsmann könnte als eifriger Leser dieser Zeitung auch die Besprechung entdeckt und sich das Buch gekauft haben, denn auch weitere Motive weisen Ähnlichkeit mit Bildfindungen des berühmten Fotografen auf.
Gertrud Hülsmann mit einer Bekannten im Dänemarkurlaub 1936. Mit derselben Begleiterin turnt sie auf anderen Fotografien an einer Leiter. Vom herrlichen Sommerlicht angestrahlt, blicken die beiden Frauen in die Ferne. Offenbar haben sie dort etwas Erfreuliches entdeckt.
Fotografische Studie mit einem Doldengewächs. Das Gegenlicht lässt die verzweigte Struktur der Pflanze wie einen Schattenriss hervortreten. (vgl. auch Negativ Nr. 301)
An einem herrlichen Sommertag im Dänemarkurlaub des Jahres 1936 entstanden gleich mehrere Aufnahmen, die Gertrud Hülsmann in Aktion zeigen – sie spielt Akkordeon oder sie tollt am Strand herum. Auf einer Düne springt und tanzt sie ausgelassen, während ihr Mann sie aus leichter Untersicht fotografiert. In den 1920er Jahren gab Frau Hülsmann in der Hamburger Gruppe des Choreographen Rudolf von Laban ihrer Bewegungsfreude Ausdruck, und dort lernte sie 1926 ihren Mann kennen. Angeregt durch die Ideen der "Lebensreform" hatte Laban tanzpädagogische Konzepte entwickelt, die auch Laien bei der Aufführung von „Bewegungschören“ und "kosmisch-eurhythmischen" Festspielen einbezog. Laban gilt als Mitbegründer des modernen, nicht-klassischen Tanzes, engagierte sich allerdings auch bei der Vorbereitung der Olympischen Spiele, die 1936 von den Nationalsozialisten in Berlin ausgerichtet wurden – um bereits ein Jahr später ins Exil zu flüchten.
Gertrud Hülsmann während eines von drei Urlauben, die das Paar in Dänemark verbrachte. Dass es sich um den Sommer 1936 handeln muss, geht aus der (sozial)demokratischen dänischen Zeitschrift hervor: abgebildet ist dort das Luftschiff "Hindenburg", das zwischen Mai 1936 und März 1937 über den Atlantik flog. Weiterhin ist von "polnischen Anforderungen an Danzig" und "Unruhen in England" die Rede (Übersetzung: Christina Schiefer). Die Aufnahme offenbart viel von der weltoffenen Gesinnung des Paares: die "neue Frau" sollte eigentlich in der nationalsozialistischen Ideologie durch das Leitbild der "deutschen Mutter" abgelöst werden, die Niveacreme wurde seit 1933 als "jüdisches" Produkt verfemt. Gertrud Hülsmann schützt sich vor der Sonne durch einen großen Strohhut, der schulterfreie Sommerdress offenbart ihre sportliche Statur. Gerade wiegt sie sich im Takt der Musik, die sie auf ihrem Akkordeon der Magdeburger Fa. Buttstädt hervorbringt. Da ihre Armbanduhr beim Spiel stören würde – das Akkordeon hat auf der linken Seite einen Haltegurt – trägt Frau Hülsmann sie am rechten Handgelenk.
Oh Schreck, ist die Puppe weg? Mit einer Geste der Besorgnis steht ein kleines Mädchen in Kleiderschürze und mit Propellerschleife im Haar an einem weiß gestrichenen Zaun, als habe es gerade noch durch die Latten nach seiner Mama gerufen. Nun dreht es sich zum Fotografen um. Ein Puppen- oder Kinderwegen steht schräg auf der Dorf"straße", die nicht asphaltiert, sondern lediglich mit einer Schicht Sands bedeckt ist, in dem der Wagen bereits tiefe Spuren hinterlassen hat. Ein schmaler "Gehweg" besteht aus festgetretenem Lehm, auf den einige getrocknete Halme gestreut sind – Dorfleben wie in alten Zeiten, die hier im Licht eines Sommernachmittags stehen geblieben scheinen.
Zwei angelnde Jungen an einem Fluss, vermutlich im Alten Land, ca. 1935. Die Knaben ihn kurzärmeligen Hemden und knielangen Hosen haben von einem Ruderboot aus ihre Angeln ausgeworfen. Das Boot ist, wie ein weiteres, an einem aus einfachen Planken gefügten Anleger festgemacht. Das Bild wird am oberen Rand von den Blättern einer Kastanie malerisch gerahmt; die Komposition mit Spiegelungen im Wasser und dem Laubwald am gegenüberliegenden Ufer wirkt ausgesprochen pittoresk: später Nachmittag eines unbekümmerten Sommertags…
Zwei angelnde Jungen an einem Fluß oder Teich, vermutlich im Alten Land, ca. 1935. Der vordere Junge sitzt mit nackten gegrätschten Beinen auf einem roh gezimmerten Bootssteg und macht sich gerade an einem Köder zu schaffen. Seine Angel, eine einfache lange Bambusrute, liegt hinter ihm auf der Anlegeplattform, seine gestreifte kurze Hose ist in der Schrittnaht beschädigt und wird wohl nur noch in den Ferien getragen, sein Oberkörper ist nackt wie der des hinteren Jungen, der das Oberteil seines Trägerbadeanzugs abgestreift hat; er beugt sich über das Geländer des Anlegers, um zu überprüfen, was sich am Ende seiner Angel abspielt. Am gegenüberliegenden Ufer dümpelt ein kleines Segelboot. Das friedliche Sommeridyll lässt nichts von den bevorstehenden Ereignissen der nächsten Jahre ahnen.
Ein Mann hat es sich auf einer Bank im Halbschatten gemütlich gemacht und liest, eine bereits ziemlich abgebrannte Zigarre zwischen den Fingern, in einer zusammengefalteten Zeitung. Hülsmann scheint diese Aufnahme gelungen zu sein, ohne dass der Lesende von ihm Notiz nahm.
Von heute aus betrachtet erscheint das Deutsche Reich in den 1930er Jahren als erstarkende Industrienation im Aufrüstungswahn. Der Erste Weltkrieg, Inflation, Weltwirtschaftskrise, Armut und Arbeitslosigkeit lagen kaum zurück, als mithilfe verschiedener Programme des NS-Staates Vollbeschäftigung angestrebt wurde. Dass sich der "Aufschwung" massiven Vorbereitungen eines "Eroberungskrieges" verdankte, war keineswegs allgemein bekannt. So sonnten sich viele Bürgerinnen und Bürger zunächst in Sicherheit und lang entbehrtem Wohlstand. Die Welt schien in Ordnung.
So wirken die Fotografien Friedrich Karl Hülsmanns aus dieser Zeit wie "Betrachtungen eines Unpolitischen". Für Paraden und Kundgebungen oder Spaliere von Hakenkreuzfahnen verschwendet er offensichtlich kein Negativmaterial – zumindest sind keine derartigen Motive erhalten (oder sie wurden nachträglich vernichtet). Sportliches Vergnügen am Strand und in der Sonne steht (noch) nicht unter dem Verdacht der Wehrertüchtigung, sondern wird als Ausdruck von schierer Daseinsfreude und Zwanglosigkeit im spontanen "Schnappschuss" festgehalten.
Die vorangegangene Weimarer Republik hatte sich politisch und kulturellals überaus turbulent erwiesen, so dass die Revue, eine damals beliebte Form tänzerischer Unterhaltung, zum Inbegriff einer nur lose zusammenhängenden sozialen Existenz und zum kennzeichnendenSammelbegriff für die Epoche wurde. Das fragmentarische Nebeneinander verschiedenster Eindrücke, wie sie sichden Zeitgenoss:innen boten, spiegelt sich in der kuratorischen Auswahl der Motive: kaleidoskopartig, assoziativ und atmosphärisch erlauben die Einzelbilder schlaglichtartige Einblicke in das Lebensgefühl der Zeit.
Beobachtete Beobachter: wahrscheinlich in der (old) Bond Street, heute eine der teuersten Einkaufsstraßen Londons, fotografiert Friedrich Hülsmann, wie einige Männer einen Abschnitt der Straße teeren. Die Teermaschine, üblicherweise einen unangenehmen Geruch verbreitend, steht vor dem Geschäft von Frank Cruwys, einem Herrenschneider, der u.a. den späteren Herzog von Windsor (damals noch Prince of Wales) einkleidete; Frank Cruwys selbst lebte seit den 1920er Jahren in Frankreich, aber offenbar führte einer seiner Brüder, die alle Schneider waren, das Geschäft unter seinem etablierten Namen in der Bond Street fort. Leider ist aufgrund der Spiegelung nichts von der Auslage zu erkennen.
Von den gegenüberliegenden Bordsteinkanten aus, durch die Baustelle wie durch einen Fluss getrennt, beobachten zwei Passanten die Szene. Aber beobachten sie wirklich die Männer bei der Arbeit oder treffen sich ihre Blicke? Geradezu herausfordernd steht der Mann am rechten Bildrand mit den Händen in den Hosentaschen. Statt sich der Asphaltierung zu widmen, könnte er auch den Herrn auf der anderen Straßenseite fixieren, der sich im Gehen umwendet, als hätte er soeben bemerkt, dass er beobachtet wird. Verbindet die beiden ein dunkles Geheimnis? Hier ist Hülsmann ein vielsagender Schnappschuß gelungen...
Alter Mann auf den Stufen zur "Great West Door" der St. Paul’s Cathedral in London, 1933. Friedrich Hülsmann schafft das eindrucksvolle Porträt eines von Entbehrungen gezeichneten, ärmlich gekleideten Seniors, der sich zu Füßen der wuchtigen Säulen des Haupteingangs auf dem Gemäuer niedergelassen hat. Seine knotigen Hände hat er in den Schoß gelegt, der mit einem karierten Schal und einer flachgedrückten Mütze bedeckt ist. Hülsmann rückt ihn in die Mitte seiner Bildkomposition, die er aus unmittelbarer Distanz ablichtet; aus größerer Entfernung würde der Alte vor der kolossalen Kulisse der riesigen Barockkirche verloren ausgesehen haben. Durch einen fehlerhaften Transport des Films in der Kamera ist im unteren Bereich eine Doppelbelichtung entstanden.
Ankunft oder Abreise eines Passagierschiffes. Vermutlich entsteht die Aufnahme im Kontext der Londonreise des Ehepaars Hülsmann im Sommer 1933; Hülsmanns fuhren mit einem Schiff nach England und nutzten wahrscheinlich die Themse, um von London aus weitere Ziele, u.a. Schloß Windsor westlich von London, anzusteuern. Bei der gezeigten Situation könnte es sich um ein Terminal am Hafen von Tilbury handeln, wo bis heute große Passagierschiffe anlegen – die Besatzung trägt jedenfalls britische Uniformen. Bemerkenswert ist die fast ornamentale Aufstellung der Crewmitglieder und die überwiegende Blickrichtung der offensichtlich wartenden Personen. Interessante Ausnahme: ein Mann mit heller Baskenmütze im Bildvordergrund wendet sich zum Fotografen um, den er gerade entdeckt haben könnte. Friedrich Hülsmann nimmt einen erhöhten Standpunkt ein, von wo aus er das wohlgeordnete „Wimmelbild“ schießt: es gibt viel zu entdecken, z.B, dass so gut wie alle Menschen eine Kopfbedeckung tragen, oder das zwei Passagiere nicht selbst laufen können: ein älterer Herr mit Pelzkappe sitzt in einem vornehmen Tragestuhl, eine ältere Frau, die – stark vornübergeneigt – besonders gebrechlich wirkt, wird in einem Rollstuhl herangefahren. Gerade werden die auffällig etikettierten Gepäckstücke verladen. Schiff ahoi...
Drei Arbeiter an Bord eines Holzfrachters; Friedrich Hülsmann lebte in einer Hafenstadt, und Wasserfahrzeuge in jeglicher Form interessierten ihn: der Ozeanriese ebenso wie das Segelboot, der Ruderkahn, die Fähre oder das große Lastenschiff. Etwa 1935 fotografiert er drei Männer, die gestapelte Holzplanken schrubben, die möglicherweise für den Bau eines weiteren Schiffes gedacht sind, denn der Kahn, auf dem die Mänenr arbeiten, besteht aus ebensolchen. Die drei Männer mittleren Alters tragen schlecht sitzende Kleidung, die deutliche Spuren bereits geleisteter Werktätigkeit zeigen: Flecken, Beulen und Abnutzungen. Die Arbeit wirkt öde, aber die drei sind vielleicht froh, überhaupt welche zu haben; nach anhaltender Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit schien es mit der Nationalökonomie im "Dritten Reich" endlich wieder bergauf zu gehen: die Vollbeschäftigung war erklärtes Ziel der Regierung und entsprechende Programme erweckten den mitunter trügerischen Eindruck, dass alle wieder etwas zu tun hatten. Um welchen Preis, wurde übrigens vorerst diskret verschwiegen: dass Deutschland seinen Aufschwung vor allem Investitionen in die Rüstungsindustrie und massiven Kriegsvorbereitungen zu verdanken hatte, stellte sich erst später heraus. So wirkt Hülsmanns Bild zunächst wie eine Hymne auf die Betriebsamkeit: das Zentrum der Bilddidagonale wird dominiert von drei Männern, die stoisch ihrem Beruf nachgehen, umgeben von der feierlichen Weite des Meeres...
In den schweren Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und der verheerenden Inflation von 1923, sowie erneut während der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde und blieb "Arbeit" ein großes Thema für Deutschland. Nicht erst die nationalsozialistische Politik mit ihren Initiativen, Slogans und Images versuchte, die Bedeutung von Arbeit in den Mittelpunkt zu rücken. Filme über das hektische, betriebsame Treiben in der Hauptstadt Berlin oder auch – als Gegenmotiv – über "Menschen am Sonntag" popularisierten das Verhältnis von Werkschaffenden zu ihrer Tätigkeit bzw. zum erlaubten und bewussten Müßiggang in der "Freizeit". Viele von Friedrich Hülsmanns Aufnahmen bewegen sich an genau diesen entgegengesetzen Polen: sie zeigen Menschen in ausgelassener Ferienstimmung, sowie bei Sport und Spiel, oder bei den Formen von Arbeit, die er in seiner unmittelbaren Umgebung beobachten konnte: bäuerliche Aktivitäten im Alten Land und die Anfänge einer industrialisierten Landwirtschaft, Berufsfelder rund um den Hafen, traditionelle Handwerke (darunter solche, die allmählich vom Aussterben bedroht sind), und – eher vereinzelt – die Arbeit mit modernen Technologien. Hülsmann präsentiert einen Techniker, der auf der Spitze eines Telegraphenmastes in äußerster Konzentration Drähte richtet: die dramatische Untersicht lässt sein Hantieren besonders gefährlich und herausfordernd erscheinen – ein Held der Arbeit in einer Welt, für die Kommunikation immer wichtiger wird. Zugleich eine der wenigen Fotografien, die Hülsmanns Praxis in der Nachfolge des "Neuen Sehens" zeigen: spektakuläre Perspektiven, wie wir sie aus den fotografischen Experimenten etwa des Bauhaus kennen.
Die Aufnahme eines in der Landwirtschaft Tätigen heroisiert die neuen Formen des bäuerlichen Arbeitens: fast im Dampf seiner monumentalen Maschine verschwindend, bedient ein Mann mit Schiebermütze in lässiger Haltung ein Gefährt mit wuchtigen Raupenrädern. Im Gegenleicht erscheint die Silhouette des von hinten fotografierten Arbeiters wie ein Schattenriss: umso deutlicher treten technische Details wie Hebel und Lenkrad hervor. Andere Fotografien zeigen das gleiche, lokomotivenartige Fahrzeug in seiner Funktion als Pflugapparat.
Pony Hütchen schaut auf das Meer.
Wo sind wohl Emil und die Detektive?, scheint sich das kleine Mädchen mit der Häkelkappe zu fragen. Es sieht aus wie die weibliche Hauptfigur aus dem berühmten Kinderroman von Erich Kästner, der durch die Verfilmung 1931 zusätzliche Popularität erhielt. Sein Kinn hat es versonnen auf der weißlackierten Brüstung abgelegt. Erinnert es sich an überstandene Abenteuer oder blickt es neuen entgegen?
Die Aufnahme entsteht an der deutschen Ostsee oder während eines von drei Urlauben, die das Ehepaar Hülsmann in Dänemark verbrachte. Jener Sommertag scheint ziemlich kalt gewesen zu sein, denn gegen den Wind schützt sich das Mädchen mit hochgestelltem Kragen, die Hände tief in die Rocktaschen vergraben, vielleicht reibt es mit dem angewinkelten Bein das durchgestreckte, um es zu wärmen. Ist der Erwachsene der Vater des Kindes oder gar sein Chauffeur? Mit Schiebermütze und schwerem Mantel wirkt er eher wie ein Dienstmann als wie ein Urlauber; tiefe Falten graben sich in seinen ausrasierten Nacken. Welche Sorgen ihn wohl plagen?
Das anrührende Doppelporträt ist im Bildzentrum platziert, was ihm besondere Aufmerksamkeit beschert. Der Fotograf hat sich, vermutlich eher unfreiwillig, als Schatten am unteren Bildrand verewigt.
Etwa 30 Jahre, bevor die Aufnahmen am Strand entstanden, steckten Frauen noch in Kleidern, die vom Hals bis zu den Füßen reichten, ihre Brüste und Taillen waren durch Korsettierungen auf oft schmerzhafte Weise geformt, und die Mode ließ ihnen kaum Bewegungsfreiheit. Laufen oder gar Rennen und Springen waren so gut wie nicht möglich, Baden oder Radfahren galten als Betätigungen, die Sitte, Moral und Gesundheit gefährdeten. Dass eine Generation später die Damen kürzere Röcke und leichte Blusen trugen, sich selbständig durch die Straßen bewegten und einem Beruf nachgingen, verstörte zumindest viele ältere Herren. Das gemeinschaftliche Turnen und Spielen beider Geschlechter gehörte zur umwälzenden Neuorientierung weiblicher Lebensformen seit den 1920er Jahren. Den Beiden auf der Schaukel ist deutlich anzusehen, wie viel Freude sie an dieser Ungezwungenheit haben, die für ihre Mütter und Großmütter noch undenkbar war.
Junge Frau auf hoher See. Ca. 1934 fotografiert Friedrich Hülsmann aus extremer Untersicht diese bisher nicht identifizierte junge Frau mit fülligen Lippen und buschigen Augenbrauen, die – von der Sonne leicht geblendet – in die Ferne schaut. Das Sommerlicht konturiert weich ihre Gesichtszüge. Neben ihr weht die schwarz-weiß-rote Fahne, die von 1871 bis 1919 Nationalflagge des kaiserlichen Deutschen Reichs war und während der Weimarer Republik als Handelsflagge im Einsatz war. Von 1933 bis 1935 diente sie zwischenzeitlich auch als Trikolore des nationalsozialistichen "Dritten Reichs", bis die Hakenkreuzfahne verbindlich wurde.
Das doppelte Lottchen hat geheiratet. Zwei junge Frauen stehen in auffällig ähnlichen hellen Kleidern und mit modischen Hütchen neben zwei eleganten Herren. Die vergnügte Vierergruppe wirkt wie zwei Brautpaare, die sich nach dem Gang zum Standesamt noch auf dem Pier eingefunden haben. Rechts von ihnen lehnt sich eine Frau im gestreiften Strandanzug an die Brüstung, ihr Haar wird verwegen vom Wind gepeitscht – am Sommerhimmel ziehen bereits dräuende Wolken auf. Vom linken Ende des Piers her naht ein älteres Ehepaar, das für einen Strandbesuch viel zu förmlich (und zu wenig sommerlich) gekleidet ist. Die Aufnahme von einem der deutschen Ostseestrände weist Friedrich Hülsmann einmal mehr als genialen Beobachter sozialer Konstellationen und als Experten für anknüpfungsreiche "Schnappschüsse" aus.
Von den beiden Frauen auf einer Schaukel am Strand machte Friedrich Hülsmann so viele Aufnahmen, dass man schon eine Sequenz daraus legen könnte – Bilder ungestümer Daseinsfreude und buchstäblich beschwingter Ferienstimmung.
"Ausgerechnet Bananen" – der Text dieses beliebten Schlagers aus den 1920er Jahren lässt einen Mann über seine launische Frau klagen, die mit keinem anderen Obst, Gemüse oder Blumen zufrieden zu stellen ist. Hatte die phallische Form dieser Südfrucht vereinzelt schon zu Verboten des Schlagers geführt, waren erst recht die Auftritte der Tänzerin Josephine Baker geeignet, die Banane untrennbar mit Erotik zu verbinden: die afroamerikanische Künstlerin trug auf der Bühne manchmal nichts außer einem "Rock", der aus Bananen geformt wurde. Eher harmlos hängen in Hülsmanns Fotografie eines Wochenmarkts die Früchte in ganzen Stauden an einem Stand, an dem sich auch die gesundheitsfürsorgliche Empfehlung findet: "esst mehr Obst".
Die Apfelernte wird verladen (ca. 1935). Das "alte Land" westlich von Hamburg ist bis heute für seinen Obstanbau bekannt. Friedrich Hülsmann fotografierte mehrmals während der Ernte, die üblicherweise im Spätsommer/Frühherbst stattfindet. Die Atmosphäre dieser Aufnahme ist geprägt vom warmem Licht der bereits niedrig stehenden Nachmittagssonne; im Mittelpunkt der fotografischen Aufmerksamkeit steht die Rückenansicht eines Mannes mit weißer Schürze, die sein breites Kreuz betont. Kleidung und gepflegter Haarschnitt lassen vermuten, dass der Mann eher zur Gruppe der Endabnehmer gehört als zu den Erntehelfern, die er breitbeinig beobachtet. Die süße Fracht wurde in einer Vielzahl von Körben mit einem Lastkahn herangefahren und auf einem Steg am Ufer abgestellt. Von dort erfolgt der Weitertransport mit Pferdefuhrwerken. Hierbei sind weitere junge Männer und Burschen behilflich, von denen mindestens einer die Uniform der Hitlerjugend trägt: diese versammelte und indoktrinierte während des "Dritten Reichs" Heranwachsende bis zum Alter von 18 Jahren. Seit 1935 bestand überdies eine Verpflichtung, am Reichsarbeitsdienst teilzunehmen – möglicherweise der organisatorische Rahmen für das Engagement für Aktivitäten in der Landwirtschaft. Eine eigentümliche Figur gibt der Junge im Straßenanzug ab, der sich auf dem Steg an einen der Obstkorbstapel lehnt. Er schaut mit etwas törichtem Gesichtsausdruck zum Fotografen, den er offenbar als einziger entdeckt hat...
Eine Obstbäuerin bereitet die Ernte zum Weitertransport vor: die Frau im ärmellosen Kleid mit Schürze schleppt an einem Schulterjoch vier prallgefüllte Körbe mit Kirschen an den Steg, wo bereits etliche weitere Körbe, bewacht von einem blonden Jungen in kurzer Hose, auf das Verladen warten. Demnächst wird ein Kahn auf dem begradigten Flusslauf (vielleicht die Schwinge oder der Kruken) herbeigefahren kommen, um die süße Fracht einzusammeln. Bemerkenswert ist die altertümliche Tragehilfe, mit der die Arbeit der Bäuerin besonders beschwerlich, allerdings auch sehr malerisch aussieht.
Elbdeich im alten Land. Friedrich Hülsmann fotografiert Ausflügler, die zwei Ruhebänke an einem der Elbdeiche dicht bevölkern – fast wie die Hühner auf der Stange. Die Aufnahme besticht durch Kontraste: oben die Gruppe der überwiegend älteren Erholungsuchenden und unten rechts ein kleiner Junge, der vom Rand her in das Bild emporschaut – seine Blickrichtung folgt exakt der Diagonale, die von einem Geländer gebildet wird, das zum Elbdeich führt. Ein weiterer Kontrast entsteht durch die eher unelegante Korpulenz einiger der Sitzenden und die Fragilität eines Kirschblütenzweigs, der mit fernöstlicher Anmut vom rechten Rand ins Bild hineinanragt.
Eine junge Fotografin, wahrscheinlich auch eine Amateurin, ist in die Knie gegangen, um ihre Balgenkamera auf dem Stativ auszurichten und gleich den Drahtauslöser zu betätigen: da die Linse auf die Mitte des Wegs weist, steht zu vermuten, daß die Fotografin ein auf sie zukommendes Gefährt oder eine herannahende Gruppe ins Visier genommen hat. Oder aber sie fotografiert hinter einem Fahrzeug her, das bereits eine deutliche Bewegungsspur auf dem Weg hinterlassen hat. Die für das Alte Land typischen Obstbäume zu beiden Seiten des kleinen Kanals stehen in voller Blütenpracht; der Bildkomposition liegt eine Diagonale von links unten nach rechts oben zugrunde, wie Hülsmann sie in vielen seiner Fotografien verwendete.
Herr Mitlinski geht spazieren. 1929 erschien Erich Kästners Erfolgsroman "Emil und die Detektive" mit dem legendären Cover von Walter Trier, das die Figur des Herrn Grundeis (eigentlich Mitlinski) beim Flanieren zeigt. 1931 wurde die literarische Vorlage bereits verfilmt: Fritz Rasp verkörpert den abgefeimten Dieb Grundeis/Mitlinski, der den Knaben Emil bestiehlt. Hülsmanns fotografische Perspektive wirkt so, als habe er sich selbst in einem Hauseingang verborgen, um – wie die Kinderbande um Pony Hütchen und Gustav mit der Hupe – dem nichtsahnenden Spaziergänger aufzulauern: damit wäre das Triersche Covermotiv umgekehrt, denn in der Illustration wird Herr Grundeis von zwei Knaben von hinten beobachtet, die sich hinter einer Litfaßsäule verborgen halten.
12 Uhr mittags oder Hamburger Pokerfaces. Was spielen die da wohl? Wir sehen eine Gruppe von Männern in einem Hamburger Park. Vier davon sitzen an einem Baumstumpf wie an einem Tisch und halten jeweils fünf Karten. Es könnte sich also um eine Runde Poker handeln. Dazu passen die amerikanischen Fedora-Hüte, wie Al Capone sie trug, und das spektakuläre Sonnenlicht, das scheinwerferartig auf die Männer fällt, als handele es sich um die Szene aus einem Mafia-Film. Sind die Karten auch nicht gezinkt? Argwöhnisch beäugen zwei ältere Herren die Spielenden. Treffen die sich hier jeden Sonntag? Ein weiterer Mann mit Joppe und Schiebermütze wirkt eher wie ein Zaungast dieser Szene. Die Aufnahme von Friedrich Hülsmann erweist ihn als einen Meister der heimlichen Beobachtung. Und er hatte ein gutes Gespür für Kontraste.
Die winterliche Aufnahme macht Friedrich Hülsmann aus einem Fenster des Wohnkomplexes Possmoorweg. Das damals als Kleingartensiedlung genutzte Grundstück auf der gegenüberliegenden Seite gibt den Blick frei auf die abendlich beleuchtete Häuserreihe am Goldbekufer hinter dem Goldbekkanal. Die Brücke zur Barmbecker Straße ist links zu erkennen. Im Vordergrund setzt ein vereinzelt stehender Baum, dessen kahle, verschneite Krone von einer benachbarten Laterne beleuchtet wird, einen starken Akzent.
Wanderer über dem Eismeer. Mehrmals im Lauf des 20. Jahrhunderts waren Binnen- und Außenalster aufgrund von Dauerfrost so stark zugefroren, daß man das Eis begehen konnte: 1929 über hundert Tage lang, und auch 1933 war ein sehr kalter Winter, der Schlittschuhlaufen und Rutschpartien im Herzen der Hansemetropole ermöglichte. Friedrich Hülsmann hielt das Vergnügen in mehreren Aufnahmen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln fest. Für die Ansicht eines Mannes, der wie eine von C. D. Friedrichs Rückenfiguren etwas isoliert über die Eisschicht wankt, muss Hülsmann einen erhöhten Standpunkt, wahrscheinlich auf einer der Brücken, bezogen haben.
Promenade mit Radfahrern an der Binnenalster. Wahrscheinlich aus einem Fenster des Firmensitzes der Hansa Mühle am damaligen Alsterdamm 3 (heute Ballinndamm) fotografiert Hülsmann über die Straße hinweg auf das Binnengewässer, das sich ozeanisch weit zum Horizont hin zu öffnen scheint. Am oberen rechten Bildrand ist noch eine Anlegestelle (kurz vor der Lombardsbrücke) zu erkennen. Im Vordergrund spielt sich Zeitgenössisches ab: Radfahrer eilen, fast in Kolonne, ihren Zielen entgegen, Passanten mit Hut – offenbar ausschließlich Männer – durchqueren zwischen winterlich unbelaubten Bäumen kahle Flächen. Die Aufnahme bezieht ihren optischen Reiz durch die Aufladung mit graphischen Elementen: Die Diagonale der Straße verläuft, für Hülsmann ganz untypisch, von links oben nach rechts unten, Geländer und Trottoirplatten ziehen feine Linien durch die Komposition, auf einer Litfaßsäule prangt Werbung, u.a. für das Tanzlokal "Flora"; an einem Kiosk mit Ofenrohr werden Zeitungen feilgeboten; die feinastigen Baumkronen wirken wie mit Pustetechnik ins Bild getuscht. Das kaltjahreszeitliche Licht lässt die Fotografie, ungeachtet der Bewegungsunschärfe der Radfahrer, wie eingefroren wirken.
Wie gemalt! Fast wie ein niederländisches Landschaftsbild mutet die Komposition an, die Friedrich Hülsmann um 1935 auf das Negativmaterial bannt: vor einer Horizontlinie in der oberen Bildhälfte erscheinen einzelne Gehöfte mit rahmendem Buschwerk; im Bildvordergrund schlängeln sich Wasserläufe, in denen gebündelte Flachsgarben zur weiteren Verarbeitung bereitstehen. Dazwischen wandeln ungestört einige Kühe umher. Neben Obst war Flachs ein Hauptprodukt des alten Landes, das u.a. vom Borsteler Hafen aus bis nach Hamburg verschifft wurde. Dieser Flachs wurde gar an "Stärke und Feinheit [...] dem Lüneburgischen vorgezogen, wiewohl er keinen so weissen Faden gibt", wie Philipp Andreas Nemnich (1764-1822) um 1800 berichtete.
Wo stand Friedrich Hülsmann? Hätten Sie auf Anhieb erkannt, dass es sich bei diesem unübersichtlichen Dächermeer um Frankfurt am Main handelt? Zwar ist die sogenannte "Neue Altstadt" um den restaurierten "Römer" herum längst in aller Munde, doch dürften die Meisten ein Bild vor dem inneren Auge haben, das von den Bürotürmen "Mainhattans" geprägt ist. Ausserdem hatte sich schon vor fast 100 Jahren der damalige Siedlungsdezernent Ernst May für ein "Neues", d.h. modernes Frankfurt stark gemacht, das den ästhetischen Vorstellungen des Bauhaus und zeitgemäßen hygienischen Standards entsprechen sollte. Für die geplanten Siedlungsbauten wurde u.a. die berühmt gewordene "Frankfurter Küche" von Margarete Schütte-Lihotzky konzipiert. Doch parallel entstanden noch Buchpublikationen wie "Alt-Frankfurt im Bild" mit Aufnahmen von Paul Wolff, die das historische Ensemble mit Krämerbuden, Hinterhöfen und Patrizierhäusern bewahren wollten. Vor allem diesen Motiven spürte Friedrich Hülsmann mit seiner eigenen Rolleiflex nach. Er zeigte verwinkelte Gassen und pittoreske Plätze, wie sie schon die für ihren Geschäftssinn berühmten Kaufleute vergangener Zeiten bevölkert hatten. Für seine Aufnahme erklomm er den Turm des Doms St. Bartholomäus, in dem einige Jahrhunderte lang die deutschen Kaiser gekrönt worden waren. Von dort ließ er den Kamerablick über Saalhof und Nikolaikirche bis zum "Eisernen Steg" und der Untermainbrücke schweifen. Wo sich einst die Satteldächer reihten, stehen heute "Schirn-Kunsthalle" und "Junges Museum Frankfurt".
Aufbruch. Die an einem der Hamburger Stadtteilbahnhöfe aufgenommene Situation zeigt eine Reisegruppe mit zahlreichem Gepäck, die etwas unschlüssig auf dem Bahnsteig steht. Vor allem zwei Frauen in Hut und Mantel wirken mit in die Taille gestemmten Händen rat- oder fassungslos. Ist nicht der richtige Zug gekommen? Sollte man die Fahrt lieber doch nicht antreten? Wo steckt Erwin? Zwar handelt es sich wahrscheinlich um eine Urlaubsreise, doch kann man das Motiv kaum betrachten, ohne auch einen Aufbruch ins Exil in Betracht zu ziehen. Viele Menschen verließen damals "das Reich" für immer oder zumindest für lange Zeit: umso eigentümlicher, dass links im Bild Holztafeln Werbung machen für eines der Sammelalben, die ab 1932 unter dem Titel "Das schöne Deutschland" erschienen: während die Serienbilder des Margarineherstellers Homann querformatig waren, gab der Berliner Zigarettenvertrieb seine Aufnahmen im Hochformat heraus.
Ganz im streng-formalen Stil der "neuen Sachlichkeit", die als Bildsprache die Perspektiven- und Belichtungsexperimente der Bauhausära ablöste, fotografiert Hülsmann am menschenleeren Deck eines Ausflugsschiffs: Nüchternheit, deutlich erkennbare Materialitäten und Oberflächen, unspektakuläre Diagonalen, eher Statik als Dynamik kennzeichnen die Aufnahme ebenso wie das kontrastreiche Spiel mit Licht und Schatten, das die Stuhl- und Tischreihen hervorrufen.
Im Wind wehende Vereinsflaggen. Zu den zahlreichen Aufnahmen, die Friedrich Hülsmann in Häfen oder an Bord von Schiffen machte, gehört dieses Bild zweier Fahnen von Seesportvereinen, die malerisch sturmgepeitscht an ihrem Mast zerren. Dynamisch verwehte Textilien stellen eine wichtige "Pathosformel" dar, wie der Kulturhistoriker Aby Warburg sie Ende der 1920er Jahre anhand zahlreicher Kunstwerke der Renaissance untersuchte, und die er mit zeitgenössischen Artefakten, etwa Werbung, abglich. Warburg stellte die Beispiele seiner Studien im sogenannten "Bilderatlas Mnemosyne" zusammen, den er nicht mehr vollenden konnte und der erst viele Jahrzehnte nach seinem Tod herausgegeben wurde. Zwischen den Bildzeugnissen der Bewegungsspuren, die jeweils dramatische Gefühlsaufwallungen visualisieren sollten, hätten sich auch Hülsmanns Flaggen gut gemacht.
Im Jahr der Machtübertragung an die Nationalsozialistische Partei erschien in der Deutschen Buch-Gemeinschaft das "Bilderwerk" von Hans Ludwig Oeser "Deutsches Land und deutsches Volk". Die aus unterschiedlichen Einsendungen von Amateur- und Profifotograf:innen herausgegebene Fotosammlung kommentierte Oeser im erhaben bramarbarsierenden Ton einer Ideologie, die technischen Fortschritt ins Gewand des Althergebrachten zu kleiden liebte und das historisch Gewachsene mit "neuen Mitteln" einer "neuen Zeit" betrachten wollte: "Von einem starken Bauerntum ist dieses Land urbar und bewohnbar gemacht, ist das Reich zwischen den Alpen und dem Meere, zwischen dem Rhein und der Elbe gegründet worden. Wer das Wachstum des deutschen Volkes von seiner Vorgeschichte an bis in die Jetztzeit, wer das Erbgesicht der deutschen Stämme und der vielen Völkerschaften anschauen will, die eingegangen sind in den gewaltigen mehrstämmigen Baum unseres Volkes, der schaue den Bauern ins Antlitz. Die Lebensgeschichte des deutschen Menschen wird darin verzeichnet sein, und eine Schönheit voll unmittelbarer Kraft, voller Tiefe, voll beredten Schweigens wird sich enthüllen" (H.L. Oeser, S. 48).
Nunja, das Porträt eines Hirten oder Tagelöhners aus dem Alten Land mit wettergegerbtem Gesicht, mit Walroßbart und in derben Stiefeln ist immerhin beeindruckend: sein Körper beherrscht die ganze Mittelachse der Aufnahme, während die "jährlich in reicher Ernte" aus dem Boden aufsteigende "Brotfrucht" bis zum Horizont reicht.
Begegnung in Borstel (ca. 1934). Im Ortsteil Borstel der Gemeinde Jork entsteht Hülsmanns Aufnahme, die mit fast identischem Fotografenstandpunkt auch als Postkartenmotiv bekannt geworden ist. Wir sehen Gertrud Hülsmann und einen Freund ihres Mannes, wie sie gerade auf der "Großen Seite" entlang des Jorker Hauptwettern Richtung St. Nikolai-Kirche marschieren. Sie sind nur noch eine Schrittlänge von einem weiteren Passanten entfernt, der ihnen entgegenkommt und gleich zwischen den beiden hindurchgehen wird. Der ältere Herr trägt, wie der Freund des Fotografen, Knickerbocker und eine Umhängetasche. An seinem Revers prangt eine kreisrunde Anstecknadel, bei der es sich um das im Volksmund "Bonbon" genannte Parteiabzeichen der NSDAP handeln könnte. Frau Hülsmann hält den Kopf gesenkt – will sie dem Blick ausweichen und einen Gruß vermeiden? Auf diese Weise hat sie aber auch kein Auge für die blühenden Obstbäume, die das andere Ufer, die "Kleine Seite", säumen. Ein besonderer Moment, den der Fotograf auf der sonst leeren Promenade abpasst.
Eine Altländer Bäuerin steht in der Eingangstür ihres 1867 errichteten Fachwerkhauses und schaut etwas mißmutig, wer da wohl gerade auf der Straße herumläuft. Das Haus war bisher nicht zu identifizieren, eine ähnliche Giebelzier – Putten, die eine Kartusche mit dem Erbauungsjahr halten – findet sich in Neuenfelde. Die Bäuerin trägt eine einfache Tracht mit gestreifter Schürze und einer für die Region typischen Haube, die mit einem Band unter dem Kinn gehalten wird. Zur Festtagsvariante des Sonntagsstaats würden mehrreihige Perlenketten gehören. Auch lassen die verschlissenen Pantoffeln vermuten, dass die Seniorin noch nicht ganz ausgehfein ist. Die fotografische Erforschung und Dokumentation des Volkstums, auch in Gestalt von Hausrat, Bräuchen und Kleidersitten, war eine Aufgabe, der sich Friedrich Hülsmann mit einer ähnlichen Hingabe widmete, wie dem Sammeln feudaler Antiquitäten. Das Interesse an historische Dorfkultur teilte er mit den erklärten Zielen des Bundes Heimatschutz, dem er aber offenbar nicht beitrat.
Der Sonnenschirm. Wahrscheinlich an einem der deutschen Ostseestrände, die von Hamburg aus gut zu erreichen waren, fotografiert Hülsmann die Rückansicht einer jungen Frau in weiter Strandhose und mit blumengemustertem Sonnenschirm. Die auffällige Platzierung dieses Accessoires lässt an eine Modefotografie denken, die ihrerseits von einem japanischen Farbholzschnitt inspiriert sein könnte: Damen mit Sonnenschirmen waren ein beliebtes Motiv dieser graphischen Kunst, die großen Einfluss auf Jugendstil und Art Déco ausgeübt hatte. Zum Schnappschuss allerdings lässt ein von links her ins Bild stapfender Herr die Aufnahme werden; am unteren Rand ist der Kopf des Fotografen als Schatten ins Bild geraten.
Sommerfreuden. An einem der deutschen Ostseestrände legt gerade das Segelboot Germania an. Was hier wie die fast intime Zweisamkeit junger Männer am Bug des Schiffes anmutet, fand tatsächlich unter großer Beachtung anderer Badegäste statt. Weitere Aufnahmen des Anlegemanövers zeigen, dass sich etliche Zuschauerinnen und Zuschauer am Pier eingefunden haben. Die Kleidung der Sportgestählten zeigt, daß der Badeanzug mit Trägern für Herren allmählich von der Badehose abgelöst wird.
Liebe zu dritt? Friedrich Hülsmann hielt das Anlegen des Bootes Germania in etlichen Einzelaufnahmen fest. Nun hat sich zu den beiden Faulenzern eine kräftige junge Frau gesellt, deren blonde Locken vom Wind verweht werden. Gemeinsame sportliche Betätigungen beider Geschlechter in überaus leichter Bekleidung (oder gar nackt), wären wenige Jahrzehnte zuvor noch undenkbar gewesen. Doch die Lebensreform um 1900 hatte erste Versuche unternommen, mit der muffigen Prüderie des 19. Jahrhunderts aufzuräumen: Sonnenbaden und Freikörperkultur wurden zu neuen Idealen einer gesunden, körperbewussten Bevölkerung, die sich allerdings nur zögerlich durchsetzen konnten. Erst die 1920er jahre popularisierten mit etlichen Romanen und Filmen rund um das Thema Sport das zwanglose Beisammensein von Männern und Frauen; das NS Regime schließlich hatte zur Sexualität ohnehin eine eher lockere Beziehung: Joseph Goebbels etwa gab zu bedenken, das deutsche Reich sei kein Franziskanerkloster! Außerdem waren künftige deutsche Soldaten selbst dann willkommen, wenn sie unehelich gezeugt wurden. In welcher Beziehung zueinander die drei jungen Menschen tatsächlich stehen, bleibt unserer Phantasie überlassen.
Wagenräder in der Sonne: Neue Sachlichkeit trifft altes Handwerk. Vor dem Haus eines Wagenschmieds stehen Räder für Fuhrwerke und Beschlagringe in allen möglichen Größen an die Mauer gelehnt. Sie künden noch vom Alten Land als einer seinerzeit noch weitgehend autofreien Region. Die kontrastreiche Aufnahme im hellen Licht der Mittagssonne gehört zu Hülsmanns eher wenigen Fotografien im objekttreuen Stil der "Neuen Sachlichkeit".
Pause bei der Obsternte. Die Arbeit ist getan, Kirschen und Zwetschen sind in Körben und Kisten verstaut, gleich wird ein Lastkahn die süßen Köstlichkeiten abholen. Drei Bäuerinnen aus dem Alten Land nutzen die Wartezeit für einen Moment der Erholung. Eine von ihnen hält mit verschränkten Armen nach dem Boot Ausschau, eine weitere hat sich neben einer Treppe im Gras niedergelassen, eine dritte lehnt am Stamm eines Baumes. Da die Frauen im Halbprofil bzw. von hinten fotografiert sind, erinnert die Anordnung der Figuren an Kompositionen von C.D. Friedrich, der Menschen bevorzugt in Rückenansicht dargestellt hat. Die sommerliche Stimmung ist behaglich – ein stilles Glück im Augenblick. Und bald gibt es Obstkuchen!
Das Haus in prächtigem Buntmauer-Fachwerk sieht aus, als würde es seit Jahrhunderten in Buxtehude stehen, wurde aber tatsächlich erst 1911 gebaut und war von Anfang an ein Museum für die private, heimatkundliche Sammlung des Seifenfabrikanten Julius Cäsar Kähler (eröffnet 1913). Das Buxtehude-Museum für Regionalgeschichte und Kunst präsentiert sich seit 2021 umfassend saniert und mit "völlig neuen, modern inszenierten Ausstellungen" (buxtehudemuseum.de).
Die Bauweise – Fachwerk mit ornamentaler Einfügung weiß verputzten Materials – ist eine Spezialität des Alten Landes. Hülsmann fotografierte etlicher dieser Häuser; für das Buxtehuder Exemplar wählte er eine leichte Schrägsicht und gibt links neben dem Museum den Blick auf den Stavenort frei.
Ein kräftiger Bauer sitzt breitbeinig auf einem Schemel in seinem Stall und flickt Netze, die zum Schutz des Saatguts ausgespannt werden. Die Struktur von Netzen, meist als Fischernetze, faszinierte professionelle und Amateurfotografen – nicht zuletzt wegen der oft ausgesprochen feinen Schattenwirkungen, die die Gewirke auf eine darunterliegende Fläche ausüben. In Albert Renger-Patzschs Buch „die Welt ist schön“ (München 1928) sind zwei Netze in unterschiedlichen Situationen abgebildet (S. 32 und S. 97), und auch Friedrich Hülsmann fotografierte gleich mehrfach Landarbeiter, die sich an Netzen zu schaffen machen. Indem er verschiedenste landwirtschaftliche Tätigkeiten ins Bild nahm, stellte er eine visuelle Enzyklopädie bäuerlicher Aufgaben am Umschlagpunkt zur maschinisierten und industrialisierten Erzeugung von Lebensmitteln dar.
Verladung eines Dampfkessels im Hamburger Hafen, wahrscheinlich vom Westkai aus aufgenommen, ca. 1934. Dampfkessel werden in verschiedenen industriellen Kontexten eingesetzt, wo Wärme kosteneffizient erzeugt werden soll. In der Aufnahme von Friedrich Hülsmann dominiert der von einem Lastkran baumelnde zylindrische Baukörper die Bildgestaltung. Die Hafenanlagen mit ihren vielgestaltigen Schiffen und den majestätischen Kränen faszinierten Hülsmann und regten ihn zu etlichen Bildreihen an. Offensichtlich schloss er sich Überlegungen zu einer "Schönheit der Technik" an, wie sie seit Ende der 1920er Jahre, vermittelt durch fotografische Positionen und in verschiedenen Publikationen, verbreitet wurden. Hier ist u.a. "Technische Schönheit" zu nennen, 1929 im Zürcher Verlag Orell Füssli von Hanns Günther herausgegeben: "Nimmt man das Wort ‚Technik‘ im weitesten Sinne, so dass es auch den Schiffbau und die Baukunst umschließt, so sieht man sogleich, dass es von jeher technische Schönheit in unserem Dasein gab, wenn wir sie auch nur selten nach ihrem Ursprung erkannten. Aber erst unsere Zeit hat das geschaffen, [...] dessen Ausdruck die schöne Zweckform ist, in der heute jede Schöpfung der Technik sich offenbart." Friedrich Hülsmann, den wir sonst als Bildgeber pittoresker Landschaften, anmutiger Artefakte und attraktiver Menschen kennen, hat sich diese technische Schönheit in der Tat offenbart.
(Für die Identifizierung einzelner Motive danke ich herzlich Dr. Christian Hirte, Berlin, und Thorsten Reich, www.historisches-marinearchiv.de)
Ganz in ihre Lektüren versunken sitzen eine junge Frau und ein älterer Herr in der Nachmittagssonne. Vielleicht warten sie auf eine der Wasserdroschken, die hier, gegenüber dem Kaiserspeicher im Hamburger Sandtorhafen, anlegen. Während für viele Fotograf:innen der repräsentative 1875 errichtete Speicherbau eine Hauptattraktion darstellte, gilt Hülsmanns Aufmerksamkeit den beiden Lesenden und ihrer auffällig parallelen Sitzhaltung. Das gepunktete Kleid der Dame und ihr Strohhut kommen so gut zur Geltung, dass es sich auch um eine inszenierte Modeaufnahme handeln könnte. Modebilder möglichst authentisch, d.h. wie Schnappschüsse einer Straßenszene wirken zu lassen, war seit den 1930er Jahren beliebt geworden. Da auf dem Speicherturm noch der "Zeitball" zu sehen ist, kann Hülsmann nicht nach 1934 auf den Auslöser gedrückt haben, denn bis zu diesem Jahr war die kuriose Anlage noch in Betrieb: pünktlich um 12 Uhr fiel der Ball innerhalb seiner Aufhängung herab, so daß vorbeifahrende Schiffe ihre Uhren damit synchronisieren konnten.
Die im zweiten Weltkrieg stark beschädigte Speicherarchitektur ist heute von der Elbphilharmonie überbaut.
Der Maler von Rosenborg. Ein Ausflug in die dänische Hauptstadt Kopenhagen führt Friedrich Hülsmann auch zum Schloß Rosenborg, bis 1710 Residenz der dänischen Könige und seit den 1830er Jahren Museum, in dem u.a. die Kronjuwelen ausgestellt sind. Für die Aufnahme steht Hülsmann im Rosengarten (Rosenhaven), der durch einen kleinen Wassergraben vom Schloß getrennt ist. Die komplexe Fotografie enthält mehrere Fixsterne der Aufmerksamkeit, die zu genauerer Betrachtung einladen: aus der mittleren Bildachse nach rechts gerückt sitzt ein älterer Herr auf einem Schemel, um letzte Pinselstriche an einem Gemälde anzulegen, das er vom Schloss gefertigt hat. Ein aufgespannter Schirm schützt ihn vor der Mittagshelle, und in konzentrierter Haltung widmet er sich der Vollendung seines Werks. Dabei wird er von einem jungen Mann im gestreiften Anzug beobachtet, dessen Kontur vom Sonnenlicht wie von einer Aureole geformt scheint. Es sieht aus, als beobachtete er den Maler schon seit längerem. Als weitere Beobachterin steht weiter links eine junge Frau im hellen Mantel, deren Gesicht wir im Vollprofil sehen. Sie führt etwas zum Mund, das auf den ersten Blick wie eine e-Cigarette aussieht, sich aber bei näherem Hinsehen als Eis am Stiel entpuppt – diese sommerliche Schleckerei, eigentlich gefrorener Fruchtsaft, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfunden worden. Am linken Rand marschiert ein Herr in Knickerbockern aus dem Bild – während die beiden anderen in Betrachtung versunken still stehen, verursacht sein linker Fuß eine Bewegungsunschärfe, die einzige in diesem sonst statischen Bild.
Winterlich kahle Pappeln fotografiert Friedrich Hülsmann an einem der Elbdeiche im Alten Land. Die entlaubten Bäume trotzen der Kühle mit geschmeidiger Biegung, als wiegten sie sich in seichtem Wind. Der tiefliegende Horizont bringt die Silhouetten vor leicht bedecktem Himmel wie Tuschezeichnungen zur Geltung. Lediglich Telegrafendrähte im Hintergrund lassen erkennen, dass die "Moderne" hier schon Einzug gehalten hat.
Die Wartenden. Eine Gruppe von Ausflüglern hat sich in an den Strand begeben. Auffällig ist ihre für diesen Anlass eher untaugliche Sonntagskleidung: die Damen tragen Pumps und Handtäschchen, eine hat sogar einen Fuchs um die Schultern geworden. Wenn sie nicht achtgeben, weht ihnen der Seewind die Hüte vom Kopf. Etwas steifbeinig blicken sie zum Horizont, in dessen Richtung einer der Herren mit ausgestrecktem Arm zeigt. Was sehen sie, und was geht in ihnen vor? Die Versammlung von Rückansichten erinnert merkwürdig an das etwa zur gleichen Zeit entstandene Gemälde "Erwartung" (1935/36) des deutschen Surrealisten Richard Oelze, das oft als "Ruhe vor dem Sturm" oder Vorahnung der katastrophalen Entwicklung des "Dritten Reichs" interpretiert wurde; vor diesem Hintergrund scheint Hülsmanns wahrscheinlich ganz zufällige Fotografie aufgeladen mit beklemmendem Anspielungsreichtum.
Von heute aus betrachtet erscheint das Deutsche Reich in den 1930er Jahren als erstarkende Industrienation im Aufrüstungswahn. Der Erste Weltkrieg, Inflation, Weltwirtschaftskrise, Armut und Arbeitslosigkeit lagen kaum zurück, als mithilfe verschiedener Programme des NS-Staates Vollbeschäftigung angestrebt wurde. Dass sich der "Aufschwung" massiven Vorbereitungen eines "Eroberungskrieges" verdankte, war keineswegs allgemein bekannt. So sonnten sich viele Bürgerinnen und Bürger zunächst in Sicherheit und lang entbehrtem Wohlstand. Die Welt schien in Ordnung.
So wirken die Fotografien Friedrich Karl Hülsmanns aus dieser Zeit wie "Betrachtungen eines Unpolitischen". Für Paraden und Kundgebungen oder Spaliere von Hakenkreuzfahnen verschwendet er offensichtlich kein Negativmaterial – zumindest sind keine derartigen Motive erhalten (oder sie wurden nachträglich vernichtet). Sportliches Vergnügen am Strand und in der Sonne steht (noch) nicht unter dem Verdacht der Wehrertüchtigung, sondern wird als Ausdruck von schierer Daseinsfreude und Zwanglosigkeit im spontanen "Schnappschuss" festgehalten.
Die vorangegangene Weimarer Republik hatte sich politisch und kulturellals überaus turbulent erwiesen, so dass die Revue, eine damals beliebte Form tänzerischer Unterhaltung, zum Inbegriff einer nur lose zusammenhängenden sozialen Existenz und zum kennzeichnendenSammelbegriff für die Epoche wurde. Das fragmentarische Nebeneinander verschiedenster Eindrücke, wie sie sichden Zeitgenoss:innen boten, spiegelt sich in der kuratorischen Auswahl der Motive: kaleidoskopartig, assoziativ und atmosphärisch erlauben die Einzelbilder schlaglichtartige Einblicke in das Lebensgefühl der Zeit.
Während der Dänemarkurlaube fotografiert Friedrich Hülsmann vor allem Menschen: auf Booten und am Strand, bei sportlichen Aktivitäten und selbstvergessenem Spiel. Die ruhigen und sauberen Badegelegenheiten der Westküste haben sonst auch wenig Attraktionen zu bieten. Ganz anders die wilde Felsküste der Insel Bornholm, von der aus sich erhabene Blicke auf die Brandung bieten. Die kühn-romantischen Abgründe des "Kreidefelsen" auf Rügen, vor allem in der malerischen Darstellung von C. D. Friedrich, lassen grüßen.
Von heute aus betrachtet erscheint das Deutsche Reich in den 1930er Jahren als erstarkende Industrienation im Aufrüstungswahn. Der Erste Weltkrieg, Inflation, Weltwirtschaftskrise, Armut und Arbeitslosigkeit lagen kaum zurück, als mithilfe verschiedener Programme des NS-Staates Vollbeschäftigung angestrebt wurde. Dass sich der "Aufschwung" massiven Vorbereitungen eines "Eroberungskrieges" verdankte, war keineswegs allgemein bekannt. So sonnten sich viele Bürgerinnen und Bürger zunächst in Sicherheit und lang entbehrtem Wohlstand. Die Welt schien in Ordnung.
So wirken die Fotografien Friedrich Karl Hülsmanns aus dieser Zeit wie "Betrachtungen eines Unpolitischen". Für Paraden und Kundgebungen oder Spaliere von Hakenkreuzfahnen verschwendet er offensichtlich kein Negativmaterial – zumindest sind keine derartigen Motive erhalten (oder sie wurden nachträglich vernichtet). Sportliches Vergnügen am Strand und in der Sonne steht (noch) nicht unter dem Verdacht der Wehrertüchtigung, sondern wird als Ausdruck von schierer Daseinsfreude und Zwanglosigkeit im spontanen "Schnappschuss" festgehalten.
Die vorangegangene Weimarer Republik hatte sich politisch und kulturellals überaus turbulent erwiesen, so dass die Revue, eine damals beliebte Form tänzerischer Unterhaltung, zum Inbegriff einer nur lose zusammenhängenden sozialen Existenz und zum kennzeichnendenSammelbegriff für die Epoche wurde. Das fragmentarische Nebeneinander verschiedenster Eindrücke, wie sie sichden Zeitgenoss:innen boten, spiegelt sich in der kuratorischen Auswahl der Motive: kaleidoskopartig, assoziativ und atmosphärisch erlauben die Einzelbilder schlaglichtartige Einblicke in das Lebensgefühl der Zeit.
Nächtliches Feuerwerk auf der Binnenalster, wahrscheinlich zu Sylvester. Die Aufnahme stammt aus einer ganzen Sequenz von Versuchen, das pyrotechnische Spektakel zu bannen. Licht und Bewegung – eine dankbare Aufgabe für Amateurfotograf:innen, oft eingesandt unter der Rubrik "Experiment" bei einer der zahlreichen populären Zeitschriften für diese Freizeitbeschäftigung.
Kaffeepause. Extreme Aufsicht und steile Diagonale gehören zu den Kompositionsmerkmalen des Neuen Sehens, das als fotografische Praxis in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre seinen Höhepunkt hatte.
Die kleine Auszeit wirkt improvisiert, spontan, und ein bißchen so, als seien Tische und Stühle gerade erst ins Freie geschleppt worden: Jacken und Taschen wurden "mal eben" abgeworfen; der hintere Tisch weist mehr Gedecke als Sitzende auf; wahrscheinlich haben die beiden jungen Mädchen, die es sich bäuchlings auf zwei Liegen bequem gemacht haben, gerade noch den Älteren Gesellschaft geleistet, bis es ihnen zu langweilig wurde. Der Ort der Aufnahme konnte bisher nicht identifiziert werden. Auf den Varianten mit den Negativnummern 4051 und 4053 sieht man, dass weitere Liegen direkt am Rand einer ungemähten Wiese stehen, die sich an einen Wald schließt.
Korngarben. Wahrscheinlich im Alten Land fotografierte Friedrich Hülsmann die abgeernteten und gebündelten Getreidehalme. Die Garbe gehörte schon im Mittelalter zu den Malerei-Motiven jahreszeitlicher Aufgaben, etwa in Stundenbüchern oder Kalendarien. Über die Genremalerei des 16. und 17. Jahrhunderts reicht die Ikonographie bis zum frühen Expressionismus: von Vincent van Gogh existieren mehrere Gemälde rund um die Weizenernte, und auch Max Pechstein wählte 1923 die "Kornhocke" als Bildgegenstand. Kulturgetreide stellen, zu Mehl verarbeitet und zu Brot verbacken, seit über 10.000 Jahren ein Grundnahrungsmittel sesshafter Menschheit dar.
Leinen los? Die Aufnahme, die möglicherweise aus einem der Dänemarkurlaube 1934-1936 stammt, zeigt ein An- oder Ablegemanöver einer schnittigen Segelyacht. Der Mann ganz vorn birgt den Fender oder bringt ihn aus. Fender schützen den Rumpf vor Reibung am Pier, dem Standort des Fotografen. Der Zweite macht die Vorleine klar oder schießt sie gerade auf. Beim Aufschießen legt man die Leine auf Deck zu einer sauberen Spirale zusammen. Von der Takelage ist im Bild nur die Fock zu sehen, deren Führungsleine losgeworfen wurde, um dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten, denn das würde das Manöver stören. Um welche Nationalität es sich bei der Besatzung handelt, konnte bisher nicht ermittelt werden. (segeltechnische Hinweise Dr. Christian Hirte, Berlin)
Aus der malerischen Altstadt Dinkelsbühl sind verschiedene Aufnahmen von Friedrich Hülsmann erhalten. In der Segringer Straße fotografierte er zwei sonnenbeschienene Häuser, die das schmale Hopfengässlein rahmen; im rechten ist die Werkstatt des Schlossers Karl Binder untergebracht (heute ein Optikerfachgeschäft). Die durch den oberen Bildrand beschnittene Häuserflucht gehört sicher nicht zu Hülsmanns besten Stadtansichten, doch gelang ihm ein besonderer Schnappschuß: am linken unteren Rand ragt – offenbar unbeabsichtigt – ein Junge ins Bild, der gerade Anlauf zu nehmen scheint, um noch schnell vor dem Fotografen vorbeizulaufen: Hülsmann drückte wohl etwas zu früh auf den Auslöser...
https://www.google.com/maps/@49.0690232,10.3159888,3a,39.9y,33.74h,89.08t/data=!3m7!1e1!3m5!1sAF1QipO9YCZwg2ty-llu0ADgHR3wsbIlUCAqJJgomJsj!2e10!3e11!7i5472!8i2736
Das ist noch mal schiefgegangen! Ende der 1920er Jahre nimmt der Autoverkehr auf deutschen Straßen innerhalb und außerhalb der Städte zu und entsprechend kommt es auch gelegentlich zu Unfällen. Bertolt Brecht etwa stieß 1929 mit einem anderen Automobilisten zusammen, der gerade einen Lastwagen überholte, und fuhr dabei seinen Steyr zu Schrott (worüber er in der Zeitschrift "Uhu" berichtete). Friedrich Hülsmann, selbst ein begeisterter Fahrer, wurde Zeuge eines Unfalls in ländlicher Umgebung: einen Transporter hat es – wahrscheinlich mit überhöhter Geschwindigkeit – aus der Kurve getragen und er ist auf kopfüber auf dem Dach gelandet. Uniformierte Ordnungshüter sowie sichtlich erheiterte Schaulustige begutachten den beträchtlichen Schaden. Ob die Fahrertür durch den Aufprall aufgesprungen ist, oder ob der Eigner sie geöffnet hat, um – hoffentlich weitgehend unversehrt – auszusteigen, ist schwer zu entscheiden. Laut Türbeschriftung gehört der Unfallwagen einem Johann Jäger, möglicherweise aus Rendsburg – zumindest gab es dort eine Hindenburgstr., und der Landkreis ist durch das alte Provinzialkennzeichen (IP für Schleswig-Holstein) identifiziert. Sollte sich der Unfall tatsächlich in der Nähe von Rendsburg zugetragen haben, könnte Hülsmann auf der Reise nach Glücksburg dort vorbeigekommen sein.
Als junger Erwachsener träumte Friedrich Hülsmann von einer künstlerischen Laufbahn oder einer Tätigkeit als Gestalter. Mit großem Interesse dürfte er verfolgt haben, was sich an den deutschen Hochschulen wie dem Bauhaus ab 1919 oder etwa der Burg Giebichenstein abspielte. Mit seiner Bewerbung um einen Studienplatz hatte er allerdings keinen Erfolg, und so machte er eine Ausbildung zum Buchhändler bei Velhagen & Klasing in Bielefeld. Wechselnde Beschäftigungsverhältnisse führten ihn schließlich 1925 nach Hamburg, wo er in einer Gruppe für modernen Ausdruckstanz des Choreographen Rudolf von Laban seine spätere Frau Gertrud Schlüter kennenlernte. Gertrud arbeitete im Direktionssekretariat der Hansa Mühle GmbH (ab 1934 AG), einer Firma, die u.a. Viehfutter aus Sojaschrot und Nahrungsergänzungen herstellte. In diesem Unternahmen fand auch Friedrich Hülsmann eine Anstellung als Werbeleiter, wozu er sich durch eine Zusatzausbildung in einem Atelier für Raumausstattung qualifiziert hatte. Zu seinen Aufgaben gehörten u.a. Plakatentwürfe und die Realisation von repräsentativen Messeständen auf den großen Landwirtschaftsausstellungen und Fachmessen. Vor allem die Errichtung solcher Pavillons dokumentierte Hülsmann fotografisch. Andere Bilder zeigen seine unmittelbare Arbeitsumgebung im Büro. 1938 kündigte er seine Stellung, um sich als Kunst- und Antiquitätenhändler zu profilieren: er eröffnete ein eigenes Geschäft in Hamburgs Hohen Bleichen.
Für eine der "Rhein-Mainischen Braunen Messen" konzipierte Friedrich Hülsmann den Reklamestand der Hansa Mühle. Passend zum übermütigen Slogan "immer obenauf" ragt der Werberuf für lecithinhaltige Kraftnahrung weit in die Höhe der Frankfurter Messehalle – ein originelles Alleinstellungsmerkmal, denn alle anderen Anbieter bleiben innerhalb des durch die Messekojen vorgegebenen Rahmens. Die von der umlaufenden Empore aus aufgenommene Fotografie betont in der perspektivischen Verkürzung der Tafel die dynamische Diagonale des Schriftzugs. Zu den Traditionsausstellern wie Teppichhaus Hermann Eberhard (nachweisbar 1932-1953), Dinges Brotfabrik Offenbach (nachweisbar seit 1904), Henkel/Persil (nachweisbar seit 1907) gehört auch das Bielefelder Unternehmen Dr. Oetker, das in einer "Pudding-Stube" sein berühmtestes Produkt anbietet, das es seit 1894 herstellt.
Und ewig ruft Rodtschenko… Auf einer Tischkante platziert Friedrich Hülsmann das aus einfachen Mitteln erstellte Modell für einen Reklamestand der Hansa Mühle AG. Fröhlich ruft eine junge blonde Frau "zu Frische + Spannkraft durch Hansa-Lecithin" auf – das Gesicht prangt auf einer Fotografie, die mit einer beschrifteten Wand zu einer Messekoje kombiniert werden soll. Möbliert ist dieser Auftritt mit Stahlrohrswinger und Satztischen von Marcel Breuer – Entwürfen, wie sie Werner Graeff in seinem Ratgeber "Jetzt wird Ihre Wohnung eingerichtet" letztmalig 1933 propagieren konnte, bevor sich das NS-Regime gegen die "Entartung" des Bauhaus-Designs aussprach. Die Aufnahme ist nicht nur wegen ihrer Bild-im-Bild-Wirkung interessant: tatsächlich realisierte Hülsmann die Konzeption bei einem Messestand ( Negativ Nr. 769), und das Mädchengesicht zitiert unübersehbar die Ruferin auf dem berühmten Plakat, das Alexander Rodtschenko 1925 als Werbung für Bücher gestaltet hatte.
Für eine der Berliner landwirtschaftlichen Fachmessen oder die Frankfurter Messe realisierte Friedrich Hülsmann einen Stand der Hansa Mühle, die dort ihre Produkte vorstellte, u.a. das aus Soja gewonnene Lecithin. Den Entwurf hatte er zuvor als stark verkleinertes Modell auf einem Tisch fotografiert.
Lecithin, eigentlich ein Emulgator, wurde und wird auch bei der Herstellung von Futtermitteln, Nahrungsergänzungen, Kosmetika und Medikamenten eingesetzt. Hauptquelle für Lecithin wurde das Öl der Sojabohnen. Lecithin aus Eidotter hat in speziellen Anwendungen, z. B. in der Pharmazie und Kosmetik, weiterhin eine Bedeutung. Seit der Hansa Mühle 1925 die Isolierung von Lecithin nach dem Bollmannschen Extraktionsverfahren gelang, begann das Hamburger Unternehmen auch den amerikanischen Markt zu erobern. Ob Hülsmanns Kampagnen dieser Erfolgswelle zusätzlichen Auftrieb verschafften, muss Vermutung bleiben.
Der Eingang zu einer Messehalle konnte bisher nicht genau identifiziert werden. Die architektonische Gestaltung weist zwar Ähnlichkeit mit den Messegebäuden von Richard Ermisch auf, die nach dem Brand des Hauses der Funkindustrie konzipiert und ab 1937 genutzt wurden. Ermischs Entwurf wurde allerdings aus Naturstein realisiert, während in Hülsmanns Aufnahme die Pilaster verputzt sind und der Boden aus Dielenbrettern besteht. Wahrscheinlicher entstand die Fotografie anlässlich der 39. "Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft" (DLG) vom 20.-28. Mai 1933 auf dem damaligen Messegelände und den südlich vorgelagerten Freiflächen. (freundliche Auskunft von Michael Pfeiffer, Messe Berlin)
In klassischer Zentralperspektive laufen die Pilasterreihen und die schmalen Durchgänge zur Messehalle auf einen Fluchtpunkt zu. Diesen Tiefensog verstärken noch die Bodendielen. Leicht aus der Bildmitte verrückt steht eine Männergruppe; die Herren tragen Anzüge mit Hüten und haben die weißen Werbetaschen der Hansa Mühle über ihre Schultern gehängt. Von links tritt ein einzelner Herr aus der Halle hervor – er scheint soeben den Fotografen bemerkt zu haben; am rechten Bildrand wird ein Paar sichtbar, dass sich zu den Eingängen der Halle umblickt, zu ihren Häuptern hängt eine Fahne an einem Mast.
Zwei Besucher einer landwirtschaftlichen Messe in Berlin, wahrscheinlich Mai 1933. Friedrich Hülsmann hat sich - vermutlich völlig unbemerkt – auf die Fersen von zwei Männern geheftet, die sich über das Messegelände treiben lassen und offenbar hier und da Informationen einsammeln. Vom Stand der Hansa Mühle, dessen Aufbau Hülsmann in vielen Fotografien dokumentiert, haben sie Umhängetaschen aus bedrucktem Stoff mitgenommen. Der aufgedruckte Werbeslogan "füttert Soja Schrot Vita" bildet annähernd die Mitte der Aufnahme und den Focus der Scharfstellung. Mit ihren Hüten und den mäßig sitzenden Straßenanzügen wirken die beiden Männer ähnlich unkomfortabel und wesensfremd gekleidet wie die drei Westerwälder Jungbauern im Sonntagsstaat, die August Sander 1914 fotografiert und 1929 in sein Buch "Antlitz der Zeit" aufgenommen hatte. Dass Hülsmann die beiden im Moment ihrer Isolation von den übrigen Messebesucher ablichtete, verstärkt den Eindruck der Verlorenheit: vielleicht werden die Männer froh sein, der Großstadt bald wieder den Rücken kehren zu können…
Blick in die Rotunde des Ausstellungspavillons. Der als kastenförmiger Zentralbau mit Stufendach konzipierte Werbepavillon der Hansa Mühle wird durch eine gewölbte, mit dunklem Tuch bespannte Holzwand hinterfangen, von der aus vier Fahnenstangen in die Höhe ragen. Hülsmann fotografierte mehrfach aus dramatischer Perspektive in die Wölbung hinein und meist so, dass die vierte Fahne mit dem Hakenkreuz (die anderen zeigen die Reichsfarben, das Wappen der Stadt Hamburg und das Emblem der Hansa Mühle) NICHT zu sehen ist. So bleibt der Himmel über Berlin politisch sauber. Lediglich auf dem Negativ mit der Nr. 788 ist das NS-Symbol deutlich zu erkennen.
Selbstporträt als Schatten. Friedrich Hülsmann hält die eigene Silhouette fest, während er auf einer Leiter steht – die Aufnahme entsteht während der Vorbereitungen zur Errichtung des Hansa Mühle Pavillons. Der parallel zum Bildrand verlaufende Schatten der Leiter fällt auf einen aus Holzdielen geformten Boden, dessen Linien Diagonalen bilden. Um diese Dielen zu bedecken, wurde ein Streifen Teppich oder Kunstrasen ausgelegt, der noch nicht ganz ausgerollt ist. Darauf steht ein Mann in sichtlich beanspruchter Arbeitskleidung, sein Werkzeug – ein breiter Pinsel, ein großes Messer und ein Zollstock, sind zu seinen Füßen wie zu einem Stilleben arrangiert.
Anlässlich der landwirtschaftlichen Messe in Berlin verschoss Friedrich Hülsmann weit über 100 Negative – wohl nicht nur aus reiner Freude am Fotografieren, sondern auch um seine Arbeit als Reklamechef umfänglich abzubilden: dieser Druck könnte umso größer gewesen sein, als der Pavillon anscheinend nicht ganz rechtzeitig fertig geworden war, denn er trägt noch Elemente der Einrüstung, als die ersten Besuchermengen schon durch die Ausstellung strömen. Die starke Frequentierung – und nicht zuletzt den Erfolg der Werbung für die Hansa Mühle – dokumentierte Hülsmann dadurch, daß er überall auf dem Messegelände die Werbetaschen mit der Hansa-Schrot-Parole entdeckte und fotografierte.
Die Hand vom Amt. Telefonkontakte mussten in den 1930er Jahren noch von Hand hergestellt werden, oft begleitet von der freundlichen Ansage "Ich verbinde..." Diese Tätigkeit wurde überwiegend von weiblichen Angestellten ausgeübt, den "Fräulein vom Amt". In Hülsmanns Fotografie treffen sich der Surrealismus einer körperlosen Hand mit der Neusachlichkeit einer technisch-kühlen Darstellungsweise, die Materialien und Oberflächen gut zur Geltung bringt.
Eine weitere Aufnahme aus der Reihe rund um die Errichtung des Hansa-Mühlen-Pavillons in Berlin (vgl. Negative Nr. 922 und 946) – nun vom gegenüberliegenden Blickwinkel aus: man sieht über die Holzdielen hinweg auf die Leiter, auf der in der Aufnahme Nr. 922 Friedrich Hülsmann stand. Am Boden kauert auf allen Vieren ein Mann, der mit einem Winkelmaß arbeitet. Das völlig unaufgeäumte Gelände rund um die Baustelle lässt erkennen, dass noch viel zu tun ist...
Pause! Dieser Berliner Arbeiter hat es sich erstmal – oder endlich – "bequem" gemacht. Zumindest hat er den Oberkörper auf einem Stapel Holzbretter abgelegt und die langen Beine, die in Knickerbockern und Kniestrümpfen stecken, ausgestreckt. Sein Gesicht mit geschlossenen Augen hält er der Mittagssonne entgegen, die inmitten der turbulenten Vorbereitungen für eine landwirtschaftliche Ausstellung auf dem Messegelände für einen wohligen Moment sorgt. Ob der Mann den Fotografen gar nicht bemerkt? Sein entspannter Ausdruck verleiht der Fotografie jedenfalls einen privaten, fast intimen Charakter.
Friedrich Hülsmann hat den großen Schreibtisch in seinem Hamburger Büro erklommen und lichtet das geordnete Chaos zu seinen Füßen ab: Stifte, Pinsel, Scherben, Klebstoffe, Papierproben und Folienmuster (u.a. von der renommierten Esslinger Firma Langheck & Co) sind das Material des Werbegestalters. Woran er wohl gerade arbeitet? Ein fotografischer Abzug verrät es: er zeigt das Gesicht einer rufenden jungen Frau, das Hülsmann für die Konzeption eines Messestandes verwendete.
Blick aus einem Büro der Hansa Mühle AG auf die Binnenalster; Hülsmanns Arbeitsplatz befand sich am Alsterdamm 3 (heute Ballinndamm). Über einen Telefonapparat und ein Geländer mit Balustraden hinweg geht der Blick auf die Binnenalster mit Lombardsbrücke (rechts) und gegenüberliegendem neuen Jungfernstieg. Diese Aussicht jeden Tag genießen dürfen, muss herrlich gewesen sein: sommers belebt durch Bootsverkehr, in kalten Wintern durch Schlittschuhläufer, die sich auf dem Eis tummelten. In einer Ablage auf dem Schreibtisch werden u.a. "Kneipp-Blätter, eine Zeitschrift für arzneilose Heilmethode und naturgemäße Lebensweise" sichtbar, die offenbar zur beruflichen Pflichtlektüre gehörten.
Als eine von wenigen lässt sich diese Aufnahme genau datieren: ein Kalender ist aufgeschlagen, der als Datum den 15. Mai ausweist. Und der fiel auf einen Freitag im Jahr 1936.
Versuchslabor der Hansa Mühle, ca. 1936. Im Stil der neuen Sachlichkeit und mit materialgetreuer Abbildungspräzision sind Kolben, Glaszylinder und Schläuche abgebildet – für den chemischen Laien bleibt die Aufnahme rätselhaft und geheimnisvoll: was wird hier destilliert? Über welche Wege werden Flüssigkeiten wohin geleitet und was kommt am Ende dabei heraus? Vielleicht wird hier gerade das vielbeworbene Lecithin freigesetzt, für dessen Verbreitung Hülsmann verschiedene Kampagnen entwarf.
Um 1930 befand sich die Amateurfotografie auf einem ersten Höhepunkt: leichter zu handhabende und kostengünstigere Kameras ermöglichten immer mehr Menschen, ihrer privaten Leidenschaft nachzugehen. Linke Blätter wie die "Arbeiter Illustrierte Zeitung" motivierten deutsche Männer und Frauen, die neue Demokratie (Licht-)Bild werden zu lassen; diverse Fachzeitschriften für Autodidakten (u.a. "Photofreund", "Satrap" oder "Agfa-Fotoblätter") vermittelten wichtige Grundkenntnisse und luden zu Einsendungen und Wettbewerben ein. Berühmt gewordene Lichtbildner, darunter Erich Salomon, Dr. Paul Wolff oder Albert Renger-Patzsch hatten zunächst jeweils andere Ausbildungen absolviert, bevor sie die Passion zum Beruf machten.
Studierende am Bauhaus fotografierten ihren Alltag in den Werkstätten und bei legendären Parties; sie machten die Ästhetik des "Fehlers" oder des "Unvollendeten" salonfähig. Die Unterscheidung zwischen Amateurhaftem und Professionellem wurde immer hinfälliger. Stilgeschichtlich vollzieht sich um 1930 der Übergang "künstlerischer" Fotografie vom expressionistischen Experiment und "Neuem Sehen" zur ("Neuen") Sachlichkeit.
Im Negativbestand von Friedrich Karl Hülsmann finden sich eher wenige extreme Auf- und Untersichten, spektakuläre Schattenspiele oder abstrahierende Strukturen. Seine Bildsprache ist in erster Linie dokumentarisch und der beobachteten Wahrheit verpflichtet.
Von erhöhtem Standpunkt aus richtet Friedrich Hülsmann sein Objektiv auf das Mobiliar einer Außengastronomie. Die einzelnen Gegenstände – Tische, Stühle und kontrastreich gemusterte Sonnenschirme – werden zu graphischen Zeichen in der Komposition. Die Aufsicht ist neben der dynamischen Diagonale eine der beliebtesten Einstellungen des Neuen Sehens. Vor allem im Kontext des Bauhaus hatten Studierende mit extremen Blickwinkel experimentiert, u.a. angeregt durch die Fotografen Alexander Rodchenko und Laszlo Moholy-Nagy. "Neue" Bildgebungen wurden ausprobiert, die auch das fotografieren selbst auf seine Möglichkeiten hin befragten. Insofern ist das Bild doppelt medienreflexiv: von oben kann man die Buchstaben einer Leuchtreklame entziffern, die das Wort "Lichtspiele" ergeben – und ein Spiel mit Licht bzw. eine "Licht-Schrift" ist, wörtlich übersetzt, auch die Fotografie. Die Leuchtbuchstaben befanden sich an der gewölbten Fassade des Gaststättenbetriebs "Haus Vaterland", das zwischen 1928 und 1943 zu den meistbesuchten Attraktionen Berlins gehörte: unter dem Dach dieses von der Familie Kempinski-Unger betriebenen „Vergnügunspalastes“ versammelten sich verschiedene Lokale und ein Kino.
Die Filmvorführung gehörte neben der Revue und dem Aktionstheater zu den bedeutenden Leitmedien der Kultur der Weimarer Republik – nicht nur, weil das Interesse an bewegten Bildern stetig wuchs, sondern weil in wirtschaftlich schlechten Zeiten die geheizten Kinoräume ein erschwingliches Obdach boten, das für ein paar Stunden eine Realitätsflucht ermöglichte. Hülsmann besuchte Haus Vaterland, aus dessen Fenstern in einem der oberen Geschosse er sich beugte, wahrscheinlich im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten auf einer der landwirtschaftlichen Messen.
Aus nächster Nähe fotografiert Friedrich Hülsmann diese von einem Gitter geschützten Lüftungsventilator. Die Aufnahme vereint den experimentellen Blick auf das in seiner Freistellung zunächst rätselhaft anmutende Detail mit der Wahrnehmungstreue der Neuen Sachlichkeit. Dass Hülsmann dieser "Schönheit der Technik", wie sie seit den späten 1920er Jahren proklamiert wurde, einiges abgewinnen konnte, beweist die Tatsache, dass er die Fotografie vergrößerte und gerahmt in seinem Büro aufhängte.
Blick in das Gestänge des Berliner Funkturms, der 1926 in seiner Doppelfunktion als Sende- und Aussichtsturm auf dem Messegelände errichtet wurde. Die Aufnahme zeigt das Können Friedrich Hülsmanns als Fotograf am Umschlagpunkt vom Neuen Sehen zur Neuen Sachlichkeit. "Technische Schönheit" (1929) oder "Das Werk. Technische Lichtbildstudien" in der preisgünstigen Reihe der "Blauen Bücher" (1931) popularisierten den Blick auf Nutzarchitekturen und ihren ästhetischen Reiz.
Wer hier an texanische Ölbarone denkt, wird vielleicht überrascht feststellen, dass auch in der deutschen Provinz beachtliche Mengen des schwarzen Goldes gefördert wurden. U.a. in Wietze am südlichen Ausläufer der Lüneburger Heide. Hier könnte die Aufnahme entstanden sein, auf der sich endlose Reihen von standardisierten Fässern bis zu den Bildrändern erstrecken. Die in ihrer Serialität leicht abstrahierte Struktur markiert fotografisches Bildschaffen am Übergang vom "Neuen Sehen" zur "Neuen Sachlichkeit".
Die Aufnahme des Hamburger Sprinkenhofs vereint wesentliche Elemente des Neuen Sehens in der fotografischen Komposition: spektakuläre Perspektive (hier: Untersicht) und dramatische Diagonalen – letztere setzte Hülsmann häufig als Mittel der Bildgestaltung ein. Zugleich enstpricht die detailgetreue Wiedergabe von Materialität und Oberfläche den Ansprüchen der "Neuen Sachlichkeit". Jeder einzelne Backstein der neo-expressionistischen Fassadengestaltung ist zu erkennen, plastisch treten die Terrakottaornamente hervor, die symbolische Motive von Wirtschaft und Produktion in der Hansestadt formen. Den repräsentativen Bau in der Nähe des "Chilehauses" hatten die Brüder Hans und Oskar Gerson 1925 begonnen, nach dem Tod des Älteren (1931) setzte der Architekt Fritz Höger die Realisierung fort; die letzten Bauabschnitte wurden erst fertiggestellt, einige Jahre, nachdem Hülsmann auf den Auslöser seiner Rolleiflex gedrückt hatte.
vgl. http://www.hamburg.citysam.de/fotos-hamburg-p/jungfernstieg/altstadt/sprinkenhof-1.jpg
Den Baumsolitär mit umlaufender Sitzbank fotografiert Friedrich Hülsmann im winterlich vereisten Hamburg. Die Bank wirkt wie ein zum Stillstand gekommenes Karussell. Das "Neue Sehen" hatte den Blick für alltägliche Gegenstände geschärft, die – oft in verfremdender oder überraschender Perspektive – bildwürdig wurden, während zur gleichen Zeit der surrealistische Maler René Magritte sein "Mysterium der Wirklichkeit" über rätselhafte Konstellationen von Dingen entwickelte. In der materialgetreuen Wiedergabe der Alltagswelt trefen schließlich "Neues Sehen" und "Neue Sachlichkeit" aufeinander
Eine Besteigung des Erfurter Doms beschert Friedrich Hülsmann verschiedene spektakuläre Aussichten, u.a. auf den Marktplatz. Ein Händler hat bei herrlichem Mittagslicht soeben seine Waren aufgebaut: Ein Leitersortiment wirft extrem langgestreckte, ornamentale Schatten, die sich wie eine Schrift am am Boden abzeichnet; weitere Produkte repräsentieren die alten Handgewerke des Böttchers oder Stellmachers (Wagenbauers); an einem weiteren Stand werden Schemel und Tröge sowie einfache Geschirre für den alltäglichen Bedarf feilgeboten.
"Am schönsten bleibt es natürlich immer, wenn über der Weite sich ein hoher Himmel mit schönen Wolken türmt" schreibt Wolf Döring in seinem "volkstümlichen photographischen Lehrbuch" "Knipse – aber richtig!", das 1936 in der 6. Auflage erscheint. Wir wissen nicht, ob Friedrich Hülsmann sich fotografisch mit Ratgeberliteratur weiterbildete; viele seiner Motive entsprechen immerhin den gängigen Themenfeldern, die von Amateurfotograf:innen bevorzugt ausprobiert wurden. Eigentümlich an seiner Aufnahme ist allerdings, dass er die romantisch-erhabenen Wolkenknäuel mit moderner Technik konfrontiert, denn die feinen Parallelen von Telegraphendrähten ziehen sich – im oberen Bildviertel gerade, im unteren als Diagonalen – durch die Komposition. Zusammen mit dem Anschnitt eines Daches geben sie zu verstehen, dass auch über dem Alten Land der Himmel nicht mehr ganz so frei ist.
Die gemeinsame Wohnung der Eheleute Hülsmann befand sich seit 1932 im Poßmoorweg, Hamburg-Heidberg; den funktional-modernistischen Häuserkomplex im Bauhaus-Stil hatte Ende der 1920er Jahre der Architekt Carl Schneider entworfen. Statt jedoch das Appartement mit neuesten Stahlrohr- und Glasmöbeln im Komplettlook auszustatten, wie es die zeitgenössischen Einrichtungsratgeber empfahlen, erwarben Hülsmanns erlesene Antiquitäten: Stühle, kleine Tische und Vitrinen aus dem 18. Jahrhundert erinnern eher an die Einrichtung eines feudalen Herrensitzes als an die Bleibe von modernen Jungvermählten. Eine wichtige Inspiration könnte von dem nahegelegenen Schloss Ahrensburg ausgegangen sein: bis 1932 diente es als Stammhaus der Grafen Schimmelmann und war gerade erst in eine gemeinnützige Stiftung überführt worden, die es der Öffentlichkeit zugänglich machte. Mehrfach besuchten Hülsmanns das Wasserschloss und seine wiederhergestellten Prunkräume mit Chippendale-Ensembles und anderen Kostbarkeiten des Rokoko.
Auf den zahlreichen Kurztrips in deutsche Altstädte, nach London, Kopenhagen oder Bergamo schärfte Hülsmann seinen Blick für das architekturhistorische Detail: das Fotografieren wird zur Schule des aufmerksamen Sehens und sammelnden Beobachtens. Wir können förmlich dabei zuschauen, wie der ehemalige Buchhändler und Werbefachmann seine eigentliche Bestimmung findet: so entfaltet sich in seinen Fotografien das Profil kunst- und kulturgeschichtlicher Interessen auf dem Weg in die neue Berufung zum Kunsthändler – 1938 eröffnete Hülsmann sein eigenes Geschäft in den Hamburger Neuen Bleichen. Zugleich legte er den Grundstock für eine ständig wachsende Privatsammlung, die durch testamentarische Stiftung an seine Heimatstadt Bielefeld überging. Als Teil dieses bedeutenden Nachlasses ist nunmehr auch das amateurfotografische Werk zu betrachten, das jahrzehntelang als Negativkonvolut unentdeckt in einem Holzkasten geruht hatte. Margarete Mainx, eine ehemalige Mitarbeiterin der Eheleute Hülsmann, übergab diesen Kasten im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts zur dauerhaften Aufbewahrung an das Museum Huelsmann.
Ca. 1932, Gertrud Hülsmann mit einem architektonischen Dekordetail (Rocaille), wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert; das Ornament, vermutlich aus Holz oder Stuck/Gips wurde in der Wohnung Possmoorweg an eine Wand im Arbeitszimmer gehängt und während der Weihnachtszeit als Kerzenhalter zweckentfremdet. Auf dem Foto hält Frau Hülsmann den Gegenstand wie ein Musikinstrument. Der "moderne" Heizkörper im Hintergrund verrät die Bauzeit des Hauses im Possmoorweg.
Ca. 1932, ein Blick in das Arbeitszimmer in der Wohnung Possmoorweg; an den Wänden sind u.a. zu erkennen: Profilbild einer fürstlichen Dame mit Hermelinmantel (vermutlich gerahmter Stich oder Reproduktion); kleinformatiges Profil einer Dame nach links (gerahmte Reproduktion eines Renaissanceporträts); Profil eines bärtigen Mannes in osmanischer Tracht, eingebettet oder montiert in florales Ornament. Möblierung: ein stoffbezogener Lehnstuhl im Stil des späten 17. Jahrhunderts, ein Stuhl mit Holzlehne nach Art des englischen Designers Thomas Chippendale (1718-1779) – solche Stühle wurden noch um 1800 hergestellt. Auf dem Heizkörper: Buddhastatuette und vermutlich silberner Leuchter. Auf dem Beistelltischchen: silberne Deckeldose vermutlich 18. Jahrhundert sowie Teekoppchen (Deutsch oder chinesisch) im Stil des frühen 18.Jahrhunderts.
Ca. 1932, Blick in das Wohnzimmer der Wohnung Possmoorweg mit antikem Mobiliar, darunter eine geschweifte Kommode im Stil der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, darauf eine Vase à la Chinoise mit separatem gedrechselten Ständer und zwei gleichförmige Kerzenleuchter (vermutlich aus Bronze); Sessel im Stil des Spätbarock (um 1750) mit wahrscheinlich erneuertem textilem Bezug; Beistelltischchen mit verschließbarer Kassette in Form einer Miniaturkommode, darauf zwei Terrakotten (wahrscheinlich Repliken antiker Originale); an den Wänden Zierteller mit floralen Ornamenten, zwei davon in chinesischem Stil; ein Wandspiegel mit dunklem Holzrahmen; eine gerahmte Reproduktion ist aufgrund der Spiegelung nicht identifizierbar.
ca. 1932, Blick in das Wohnzimmer der Wohnung Possmoorweg mit antikem Mobiliar (wahrscheinlich gegenüberliegende Raumhälfte zu Negativ Nr. 0157), darunter der gleiche oder ein identisch aussehender Sessel des Spätbarock: auf diesem sitzend porträtierte Hülsmann auch seine Frau (Neg. Nr. 0062); eine kleine geschweifte Kommode, weitgehend verdeckt von einem neueren Flügel, der durch eine übergeworfene Brokatdecke geschützt wird; an der Wand kleinformatiges, wuchtig gerahmtes Stilleben; im Bildhintergrund, unterhalb des Fensters ein modernes Ruhemöbel, auf der Fensterbank eine fernöstliche Statuette (Buddha oder Ganesha).
ca. 1932, Detail aus der Wohnung Possmoorweg mit Beistellmöbel; darauf eine Textildecke mit ornamentalem Dekor im Stil des Rokoko, Metallvase (evtl. Bronze) im Stil der Ming-Dynastie (1368-1644) auf gedrechseltem Ständer sowie ein Silberteller.
ca. 1932 Blick in die Wohnung Possmoorweg (Foyer oder Eingangsbereich/Vorzimmer?) mit Backstein-Kamin und spätbarockem Sessel (Stoffbezug mit Fruchtdekor), darüber ein kleines Fenster mit moderner Bleiverglasung; auf dem Kaminsims Uhr aus der Zeit um 1800 und silberner Leuchter; darüber ein gerahmter Stich aus der Zeit um 1630 mit höfischer Szene. Im Wohnblock Possmoorweg gab es verschiedene Wohnungsgrößen und -ausstattungen; das Appartement der Hülsmanns mit Kamin und Parkett bot gehobenen Wohnkomfort.
ca. 1932, Objektfotografie: Hülsmann dokumentiert den Erwerb eines kleinformatigen Familienbildnisses aus der Zeit um 1820 als Selbstporträt eines Malers mit seinem Bruder oder Sohn und seiner Frau (oder Schwiegertochter), die als gemaltes Bild im Bild auf der Staffelei erscheint. Der wahrscheinlich noch originale Rahmen ist stellenweise stark beschädigt. Hülsmann fotografierte das Bild mit einer Quelle künstlichen Lichts, die sich im Firnis des Gemäldes spiegelt; das Bild ist als freigestelltes Objekt inszeniert und erscheint auf einer weiteren Aufnahme im Kontext der Einrichtung.
ca. 1932, Objektfotografie: Hülsmann dokumentiert den Erwerb eines vermutlich silbernen Deckelkrugs. Er präsentiert den Krug mit leicht geöffnetem Deckel freigestellt in einer Nische mit punktueller Lichtquelle.
ca. 1932, vom Surrealismus inspirierte Aufnahme eines Dekordetails aus der Zeit des Rokoko (vgl. 0094). Frau Hülsmann, von der nur die ringgeschmückte rechte Hand und ein Stück ihres nackten Oberarms zu sehen sind, hält das obere Ende der Rocaille in die Kamera. Im Hintergrund ein Buchregal mit teilweise bibliophilen Ausgaben. Aufgrund fehlender Tiefenschärfe sind die Buchtitel leider nicht zu entziffern.
ca. 1932, weihnachtliches Stilleben mit Apfel, Wal- und Paranuss sowie einem aufrecht stehenden stilisierten Christkind, das vermutlich aus Gips nach einem antiken Model gebacken wurde. Hülsmanns besaßen weitere Backmodeln in ihrer Sammlung, u.a. einen Reiter in Landsknechtstracht und ein Paar in der Mode des 17. Jahrhunderts zeigend; die Modeln täuschen jedoch eine Herkunft aus der Barockzeit nur vor und wurden wahrscheinlich im 19. Jahrhundert, vielleicht sogar industriell, hergestellt.
Die fotografierten Objekte sind auf einer stark spiegelnden Fläche, vielleicht einer metallischen Folie, angeordnet; auch im Hintergrund der punktuell beleuchteten Aufnahme sind leicht reflektierende Oberflächen auszumachen.
Schöne Bescherung
Auf einem Teppich haben Hülsmanns ihre Weihnachtsgaben liebevoll und sorgfältig wie in einem Schaufenster ausgebreitet und mit etlichen Kerzen und Tannenzweigen garniert. Im Vordergrund ist eine Radierung (oder deren Reproduktion) zu erkennen, die Maria mit dem Christkind im Wald zeigt, vielleicht eine „Ruhe auf der Flucht“. Weiterhin sind ein Buch und eine Kette zu erkennen, die bereits aus ihrer Schachtel entnommen wurde. In der Mitte prangt auf einem flachen Metallteller ein Kuchen mit vier Kerzen – ein essbarer Adventskranz? Am hinteren Rand des Teppichs sind vier unterschiedliche Kerzenleuchter aus Silber aufgestellt, wie sie später einen Sammlungsschwerpunkt der Hülsmanns darstellten, dazwischen zwei Schallplatten der Marke Electrola mit weihnachtlicher Hülle sowie eine große Vase mit Tannenzweigen und Weihnachtsschmuck. Auf der Fensterbank Kerzen und Kunstpostkarten; außer religiösen Motiven (z.B. Renaissance-Reliefs mit Engelsdarstellungen) sehen wir weltliche Portraits aus der Zeit um 1500.
Das Ensemble bildet eine interessante Alternative zum typisch deutschen Weihnachtsbaum mit Päckchenpyramide.
Die gemeinsame Wohnung der Eheleute Hülsmann befand sich seit 1932 im Poßmoorweg, Hamburg-Heidberg; den funktional-modernistischen Häuserkomplex im Bauhaus-Stil hatte Ende der 1920er Jahre der Architekt Carl Schneider entworfen. Statt jedoch das Appartement mit neuesten Stahlrohr- und Glasmöbeln im Komplettlook auszustatten, wie es die zeitgenössischen Einrichtungsratgeber empfahlen, erwarben Hülsmanns erlesene Antiquitäten: Stühle, kleine Tische und Vitrinen aus dem 18. Jahrhundert erinnern eher an die Einrichtung eines feudalen Herrensitzes als an die Bleibe von modernen Jungvermählten. Eine wichtige Inspiration könnte von dem nahegelegenen Schloss Ahrensburg ausgegangen sein: bis 1932 diente es als Stammhaus der Grafen Schimmelmann und war gerade erst in eine gemeinnützige Stiftung überführt worden, die es der Öffentlichkeit zugänglich machte. Mehrfach besuchten Hülsmanns das Wasserschloss und seine wiederhergestellten Prunkräume mit Chippendale-Ensembles und anderen Kostbarkeiten des Rokoko.
Auf den zahlreichen Kurztrips in deutsche Altstädte, nach London, Kopenhagen oder Bergamo schärfte Hülsmann seinen Blick für das architekturhistorische Detail: das Fotografieren wird zur Schule des aufmerksamen Sehens und sammelnden Beobachtens. Wir können förmlich dabei zuschauen, wie der ehemalige Buchhändler und Werbefachmann seine eigentliche Bestimmung findet: so entfaltet sich in seinen Fotografien das Profil kunst- und kulturgeschichtlicher Interessen auf dem Weg in die neue Berufung zum Kunsthändler – 1938 eröffnete Hülsmann sein eigenes Geschäft in den Hamburger Neuen Bleichen. Zugleich legte er den Grundstock für eine ständig wachsende Privatsammlung, die durch testamentarische Stiftung an seine Heimatstadt Bielefeld überging. Als Teil dieses bedeutenden Nachlasses ist nunmehr auch das amateurfotografische Werk zu betrachten, das jahrzehntelang als Negativkonvolut unentdeckt in einem Holzkasten geruht hatte. Margarete Mainx, eine ehemalige Mitarbeiterin der Eheleute Hülsmann, übergab diesen Kasten im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts zur dauerhaften Aufbewahrung an das Museum Huelsmann.
ca. 1932, Blick aus dem Fenster einer Wohnung. Wahrscheinlich handelt es sich nicht um die Wohnung der Hülsmanns, denn das Grundstück gegenüber dem Possmoorweg 61 beherbergte eine Kleingartensiedlung.
Blumenarrangement in einer Glasvase auf einer Decke. Hülsmann probierte mit seiner Aufnahme unterschiedlich langstieliger Blüten das Wechselspiel von Licht und Schatten – ein beliebtes Motiv für Fotoamateur:innen und als "Aufgabe" in der fotografischen Ratgeber- und Selbstlernliteratur häufig abgebildet (u.a. bei Wolf Döring, "Knipse, aber richtig!").
Eine von zwei Aufnahmen aus dem Kreuzgang der Westminster Abbey. Eine Englandreise im August 1933 führte die Hülsmanns u.a. nach London sowie nach Windsor Castle. Friedrich Hülsmann war kein Großstadtmensch; seine Abneigung etwa gegen die Metropole Berlin machte er bereits in Briefen an seine künftige Frau deutlich, als er 1927 für kurze Zeit beim Gewerkschaftsbund der Angestellten tätig war. Entsprechend sind auch aus London nur erstaunlich wenige und eher touristisch untypische Motive erhalten. Der schattige Kreuzgang dürfte ihm wie eine wohltuende Oase der Ruhe und des Innehaltens erschienen sein. Gelöst und entspannt sitzen auch die Besucherinnen und Besucher auf den jahrhundertealten Fensterbänken, als hätten sie den urbanen Trubel um sich herum für eine kleine Weile vergessen. Neben dem anekdotischen Blick auf zwei Freundinnen mit ganz ähnlichen Hüten, ein Mädchen, das versonnen vor sich hinblickt und eine Frau, die in eine Handarbeit vertieft ist, prägen vor allem die langen Schatten, die von den gotischen Spitzbögen auf den alten Steinboden geworfen werden, die Bilder. Hülsmann sind im Licht der späten Mittagssonne besonders schöne Zeichnungen und Schlaglichter gelungen.
Schatten
Wie ein Schatten zu Stande kommt ist leicht zu erklären: "Schatten entsteht, wenn eine Lichtquelle seine abgestrahlten Photonen (zwischen seine Lichtstrahlen) nicht durchgehend auf eine Projektionsfläche werfen kann." Kurz gesagt: Da, wo die Lichtquelle nicht hingelangt, entsteht Schatten.
Neben der physischen Erklärung der Schattenbildung gibt es auch die Möglichkeit, einen Schatten aus einer symbolischen Bedeutung zu betrachten: So könnte der Schatten als Zwilling gesehen werden. Er bildet genau das ab, was schon einmal existiert. Ein Schatten bewegt sich genau zeitgleich und identisch mit dem Gegenstand. Dennoch ist es nicht die gleiche Sache. Der Schatten zeigt nur die Fläche und ist somit nicht jedes Detail.
Der Schatten ist ein Begleiter. Er ist immer da, egal wie stark eine Lichtquelle ist. Dennoch muss Licht gegeben sein, damit der Gegenstand erkannt wird.
Der Schatten kann Freund und Feind zu gleich sein.
Wenn man sich zum hellen, wegweisenden Licht richtet, liegt der Schatten hinter einem. Man kann ihn nicht sehen, er ist dunkel und geheimnisvoll.
Nicht ohne Grund heißt es „über seinen Schatten springen“. Der Schatten stellt etwas Böses da, etwas, das man zu überwinden vermag.
Schatten weist uns den Weg zum Ursprung des Lichtes.
Text: Franziska Heuer
Englandreise August 1933, gotische Ruine, bisher nicht identifiziert. Vermutlich reisten Hülsmanns von London aus mit einem Schiff auf der Themse entlang mindestens bis Windsor Castle in westliche Richtung. Auf dieser Strecke dürfte die malerische Ruine einer Abbey oder Priory (in Verbindung mit einem frühgotischen, noch intakten Kirchlein) liegen.
Englandreise August 1933, Windsor Castle. Etwa 40 km westlich von London liegt die königliche Residenz Windsor Castle, benannt nach dem gleichnamigen Ort an der Themse. Der weitläufige, auf einem Bergrücken gelegene Palast ging aus einer mittelalterlichen Festung hervor. Obwohl sich die Königliche Familie während des Ersten Weltkriegs von "Sachsen-Coburg-Gotha" in "Windsor" umbenannte, nutzte sie während der 1930er Jahre das Schloß hauptsächlich nur während der Ostertage, und um die Pferderennen von Ascot zu besuchen. Hülsmann fotografiert u.a. im Innenhof aus der Perspektive der aufgeschütteten Motte mit altem Rundturm – von hier nimmt er den Südflügel in den Blick – sowie auf dem East Terrace Lawn, der im streng geometrischen Barockstil angelegt ist.
Blick auf den Rheinsberger See (eigentlich Grienericksee) vom Orangeriepavillon aus aufgenommen. Möglicherweise bereiste Friedrich Hülsmann Sehenswürdigkeiten im Umland von Berlin anlässlich seiner beruflichen Aktivitäten für landwirtschaftliche Messen, auf denen er die Hansa-Mühle repräsentiert.
Die Schlösser Rheinsberg und Sanssouci markieren wichtige Stationen im Lebens des Preußenkönigs Friedrichs II. Als frisch vermählter Kronprinz verbrachte er eine unbeschwerte Zeit in Rheinsberg, das er später an seinen jüngeren Bruder Heinrich abtreten musste. Besondere Popularität erlangte Rheinsberg seit 1912 durch die gleichnamige Erzählung von Kurt Tucholsky mit dem Untertitel „Ein Bilderbuch für Verliebte“.
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Schloß Rheinsberg, vom südlichen Seeufer aus aufgenommen. Das Wasserschloß aus dem 17. Jahrhundert wurde unter Kronprinz Friedrich zwischen 1736 und 1740, u.a. nach Plänen von Georg Wenceslaus von Knobelsdorff, umgebaut und steht für die Frühphase des friderizianischen Rokoko. Hülsmann besuchte das im Norden Berlins gelegene Ensemble offenbar im Winter – passend zu den Terminen der landwirtschaftlichen Ausstellung „Grüne Woche“, die jeweils früh im Jahr stattfand.
Sog. "Goldene Galerie" im "Neuen Flügel" des Schlosses Charlottenburg, nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. (1740) als Ergänzung des alten Barockbaus errichtet. Hülsmann fotografiert in diesem von Knobelsdorff entworfenen Bau mit aufwändigen Goldstukkaturen: Rocaillen und chinoise Ornamente wuchern zwischen den Fenstern zur Decke empor, von der prächtige Kristalleuchter herabhängen. Hülsmann findet noch die historische Aufstellung von Büsten antiker Philosophen und Staatsmännern vor.
Statue der Flora am "Obelisktor", einem Eingang zum Park von Schloß Sanssouci. Hülsmann entscheidet sich für eine Komposition mit der Sandsteinfigur in der Bildmitte, rechts flankiert von einem Paar korinthischer Säulen. Eine Aufnahme mit der gegenüber aufgestellten Skulptur der Pomona ist nicht erhalten, ebensowenig eine Aufnahme, die die komplette Eingangssituation zeigt: der Blick zwischen den beiden Säulenpaaren hindurch auf den Obelisken ist bis heute ein beliebtes Fotomotiv.
Büste eines jungen Afrikaners auf hohem Sockel im Park von Sanssouci. In den 1990er Jahren hergestellte Repliken dieser und ähnlicher Porträts mit kolonialen Motiven wurden in neuerer Zeit zu einem Rondell aufgestellt, was zu einer erregten Rassismusdebatte führte. Inzwischen befasst sich die 2020 gegründete "Steuerungsgruppe Koloniale Kontexte" der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten (SPSG) mit Artefakten, die koloniale Bezüge aufweisen. Hülsmann dürfte sich eher für die Licht- und Schattenwirkung der naturalistischen Steinplastik interessiert haben sowie für den Kontrast von Artefakt und (beschnittener) Natur.
Seitliche Aufnahme von Schloß Sanssouci, das ab 1745 von Georg Wenceslaus von Knobelsdorff für Friedrich II. errichtet wurde. Der Name der – verglichen mit dem Neuen Palais – zierlichen und intimen Residenz bedeutet "ohne Sorgen" und ist in vergoldeten Lettern an der im Bild sichtbaren Nordfassade angebracht; die Seitenflügel enden jeweils in runden Kabinetten. Von links marschiert, mit leichter Bewegungsunschärfe, ein Herr ins Bild; eine weitere Person, wirft ihren langen Schatten voraus. Ob es sich um einen gewollten Schnappschuss handelt, oder ob die beiden als unerwünschte Störenfriede in die Aufnahme gerieten, können wir nur spekulieren.
Hülsmann zeigt sich von einem architektonischen Detail des Schlosses Sanssouci besonders fasziniert: vollplastische Sandsteinfiguren, deren Oberkörper in Pilaster münden, scheinen das Gesims der Nordfassade zu tragen oder zu stützen. Sogenannte Karyatiden (weiblich) und Atlanten (männlich) sind seit der griechischen Antike ein beliebtes Motiv, in der Verbindung von menschlichem Körper und Säule. Bei den Potsdamer Exemplaren handelt es sich um Begleiterinnen und Begleiter des Weingottes Bacchus, die eher ausgelassen wirken, als dass sie unter ihrer Last zu ächzen scheinen: umgeben von den Attributen des belebenden Rausches verkörpern sie Sorglosigkeit in Reinkultur. Hülsmann fotografiert sie von verschiedenen Standpunkten aus und nutzt die Wirkung des späten Mittagslichts.
Karyatiden und Atlanten tragen das Gesims von Schloß Sanssouci. Hier sind sie Begleiterinnen und Begleiter des Weingottes Bacchus gestaltet, von denen einige schon selbst etwas beschwipst wirken. Zu ihren Attributen gehören Weinlaub und Masken, wie sie bei ausgelassenen Festen getragen wurden. Hülsmann nutzt hier die modulierende Wirkung des späten Mittagslichts.
Karyatiden und Atlanten stützen das Gesims von Schloß Sanssoucis, von dessen vergoldeter Inschrift hier ein Teil zu sehen ist. Im späten Mittagslicht treten Reben und andere Attribute der Feierfreude vollplastisch an den Pilastern hervor, in denen die Oberkörper der Figuren münden. Hülsmann schuf eine ganze Serie dieser Gebälkträger:innen, indem er einmal die gewölbte Fassade des Schlosses abschritt.
Taufengel in der Schlosskirche zu Ahrensburg. Unter Peter Rantzau wurde um 1595 parallel zum Schloss die Kirche mit angrenzenden Gottesbuden (Wohnstätten für Bedürftige) errichtet. Die Decke ist als Himmelsgewölbe blau ausgemalt und mit vergoldeten Sternen versehen; von ihr hängt ein gleichfalls vergoldeter Engel herab, der eine Taufschüssel trägt; mithilfe eines Mechanismus konnte das Figurenensemble im Bedarfsfall weiter abgesenkt werden. Der Engel stammt wahrscheinlich aus der Zeit der Barockisierung der Schlosskirche (um 1715) unter Detlev Rantzau. Hülsmann fotografiert den Engel von mindestens zwei Standpunkten aus. Die Dynamisierung der Skulptur durch das flatternde Gewand kommt in der Variante (Negativ Nr. 1110) besonders gut zur Geltung.
Taufengel in der Schlosskirche zu Ahrensburg. Unter Peter Rantzau wurde um 1595 parallel zum Schloss die Kirche mit angrenzenden Gottesbuden (Wohnstätten für Bedürftige) errichtet. Die Decke ist als Himmelsgewölbe blau ausgemalt und mit vergoldeten Sternen versehen; von ihr hängt ein gleichfalls vergoldeter Engel herab, der eine Taufschüssel trägt; mithilfe eines Mechanismus konnte das Figurenensemble im Bedarfsfall weiter abgesenkt werden. Der Engel stammt wahrscheinlich aus der Zeit der Barockisierung der Schlosskirche (um 1715) unter Detlev Rantzau. Hülsmann fotografiert den Engel von mindestens zwei Standpunkten aus. Die Dynamisierung der Skulptur durch das flatternde Gewand kommt in dieser Variante besonders gut zur Geltung.
Einer der beiden Osttürme des Naumburger Doms, von Südwesten aus aufgenommen. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ersetzt ein hochgotisches Chorjoch mit zwei Türmen einen spätromanischen Vorgängerbau. Im 18. Jahrhundert erhielten die Türme barocke Helme. Hülsmann wählt einen Standpunkt vom inneren Domhof aus, der diesen Teil des Doms als verschachteltes, multiperspektivisches Bauwerk erscheinen lässt.
Der nördliche Westturm des Naumburger Doms, in extremer Untersicht aufgenommen. Hülsmann, der sich in den meisten seiner Aufnahmen einer fotografischen Sachlichkeit verpflichtet zeigt, wählt hier eine Blickrichtung, wie wir sie auch aus dem "Neuen Sehen" der Bauhaus-Zeit kennen. Der frühgotische Turm des 13. Jahrhunderts ragt vor klarem Himmel wie ein graphisches Zeichen in die Höhe; vor dem hellen Hintergrund heben sich die Wasserspeier des Westchores deutlich ab: die Bildhauer gestalteten sie nicht nur als teuflisch gehörnte Fabelwesen, sondern auch als Menschenfiguren, die sich spuckend über die Brüstung lehnen.
Vom Inneren des Doms sind leider keine Fotografien erhalten, möglicherweise, weil es es Hülsmann dort ohne Stativ und Blitzlicht zu dunkel war. So können wir uns lediglich vorstellen, wie sehr auch eher die Stifterfiguren, darunter die berühmte Uta, bewundert haben dürfte.
Die gemeinsame Wohnung der Eheleute Hülsmann befand sich seit 1932 im Poßmoorweg, Hamburg-Heidberg; den funktional-modernistischen Häuserkomplex im Bauhaus-Stil hatte Ende der 1920er Jahre der Architekt Carl Schneider entworfen. Statt jedoch das Appartement mit neuesten Stahlrohr- und Glasmöbeln im Komplettlook auszustatten, wie es die zeitgenössischen Einrichtungsratgeber empfahlen, erwarben Hülsmanns erlesene Antiquitäten: Stühle, kleine Tische und Vitrinen aus dem 18. Jahrhundert erinnern eher an die Einrichtung eines feudalen Herrensitzes als an die Bleibe von modernen Jungvermählten. Eine wichtige Inspiration könnte von dem nahegelegenen Schloss Ahrensburg ausgegangen sein: bis 1932 diente es als Stammhaus der Grafen Schimmelmann und war gerade erst in eine gemeinnützige Stiftung überführt worden, die es der Öffentlichkeit zugänglich machte. Mehrfach besuchten Hülsmanns das Wasserschloss und seine wiederhergestellten Prunkräume mit Chippendale-Ensembles und anderen Kostbarkeiten des Rokoko.
Auf den zahlreichen Kurztrips in deutsche Altstädte, nach London, Kopenhagen oder Bergamo schärfte Hülsmann seinen Blick für das architekturhistorische Detail: das Fotografieren wird zur Schule des aufmerksamen Sehens und sammelnden Beobachtens. Wir können förmlich dabei zuschauen, wie der ehemalige Buchhändler und Werbefachmann seine eigentliche Bestimmung findet: so entfaltet sich in seinen Fotografien das Profil kunst- und kulturgeschichtlicher Interessen auf dem Weg in die neue Berufung zum Kunsthändler – 1938 eröffnete Hülsmann sein eigenes Geschäft in den Hamburger Neuen Bleichen. Zugleich legte er den Grundstock für eine ständig wachsende Privatsammlung, die durch testamentarische Stiftung an seine Heimatstadt Bielefeld überging. Als Teil dieses bedeutenden Nachlasses ist nunmehr auch das amateurfotografische Werk zu betrachten, das jahrzehntelang als Negativkonvolut unentdeckt in einem Holzkasten geruht hatte. Margarete Mainx, eine ehemalige Mitarbeiterin der Eheleute Hülsmann, übergab diesen Kasten im Rahmen eines Provenienzforschungsprojekts zur dauerhaften Aufbewahrung an das Museum Huelsmann.
Speisesaal in Schloss Ahrensburg. Hülsmann besuchte das südlich von Hamburg gelegene Schloss Ahrensburg anscheinend häufiger: 1932 hatte es die Grafenfamilie Schimmelmann samt Inventar veräußern müssen, aber einem privaten Förderverein gelang es, einen Großteil der Einrichtung zurückzukaufen und die ehemaligen Wohnräume in ein Museum zu verwandeln. So fand Hülsmann (wieder) den Zustand von etwa 1760 vor, obwohl spätere Generationen erhebliche Veränderungen hatten vornehmen lassen. Im rekonstruierten Speisesaal (heute anders ausgestattet) wartet eine reiche und mit Blumen wie frisch gedeckte Tafel auf. An der Wand hängt neben originalem Meissener Porzellan ein Porträt der Julia Reventlow geb. Schimmelmann, das die in Rom lebende Malerin Angelika Kaufmann 1783 geschaffen hatte. Während das Schloß heute im "Emkendorf-Saal" eine Kopie dieses Gemäldes ausstellt, ist das Original im Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloß Gottorf zu sehen. Hülsmann nutzt den Schein von Lüster und Leuchtern als zusätzliche Lichtquelle; seine Aufnahme gleicht stark einer Fotografie, die auch im damaligen Schlossführer abgebildet war.
Der Gartensaal des Schlosses Ahrensburg präsentiert sich heute in einem anderen Zustand, da eine Restauration der Jahre 1984-86 eine farbige Fassung des 19. Jahrhunderts rekonstruierte. Auch werden die großformatigen, direkt in die Wand eingefügten Bilder von Tobias Stranover, die überwiegend Tierstilleben oder Landschaftsmotive zeigen, heute mit anderem Mobiliar kombiniert. Bei den Aufnahmen aus Schloss Ahrensburg ist die Inspiration unübersehbar, die Hülsmann für die Einrichtung seiner eigenen Wohnung mit Antiquitäten des 18. Jahrhunderts aus seinen Besuchen bezog.
Zwei alte Stühle vor einer Haustür, Dorfstraße im Alten Land. Zahlreiche Ausflüge führten Friedrich Hülsmann und seine Frau ins Alte Land, eine seit dem 12. Jahrhundert besiedelte Marschgegend südlich der Elbe und westlich von Hamburg, bis heute bekannt für ihren fruchtbaren Obstanbau. Die gut erhaltenen Ortskerne etwa von Stade, Jork, Buxtehude oder Steinkirchen faszinierten den Amateurfotografen mit ihren Fachwerkhäusern, holperigen Kopfsteinpflastern und den in den 1930er Jahren noch weitgehend manuellen Formen der Landwirtschaft. Hülsmann sammelte zwar nur sehr vereinzelt Artefakte des historischen bäuerlichen Lebens, interessierte sich aber sehr für deren Geschichte. Diese Interessen teilte Hülsmann mit den Mitgliedern des "Bundes Heimatschutz", dem er zwar nicht nachweislich angehörte, mit dessen Exponenten Ernst Sauermann, Leiter des Kieler Thaulow-Museums er jedoch in Korrespondanz stand.
Das gegensätzliche Stuhlpaar (klein/groß, hell/dunkel) wirkt wie eine optimale Studie, um fotografische Perspektiven oder Licht-Schattenverhältnisse auszuprobieren.
Detail der Barockorgel von St. Katharinen. Friedrich Hülsmann fotografierte häufiger in dieser wegen ihrer Hafennähe sogenannten "Kirche der Seeleute", die zu Hamburgs Hauptkirchen gehört. Auf der historischen Orgel, die 1943 während der Luftangriffe weitgehend zerstört wurde, spielte u.a. Johann Sebastian Bach. Außer Aufnahmen des während eines Konzerts oder (vor)weihnachtlichen Gottesdienstes vollbesetzten Mittelschiffs existieren mehrere Detailansichten des reichverzierten Pfeifenaufbaus.
1932 unternahm Friedrich Hülsmann ohne seine Frau eine Reise nach Italien, die ihn u.a. an den Comer See und in die Stadt Bergamo. Dort fotografiert er die um 1350 errichtete nördliche Vorhalle der ursprünglich romanischen Basilika Santa Maria Maggiore. Dieses dem Domplatz zugewandte Hauptportal weist eigentümlichen Figurenschmuck auf: die den Eingang flankierenden Säulen ruhen auf Löwen, was die Überwindung des Bösen symbolisieren soll. Oberhalb des Rundbogenportals bietet eine Loggia Raum für drei Statuen, die die Heiligen Barnabas, Alexander und Vincenz darstellen. In der von Hülsmann gewählten Schrägansicht wirken diese Figuren wie Teile einer gigantischen Spieluhr, die man – z.B. durch Münzeinwurf – in Bewegung versetzen kann. Zwei mit den Löwen am Eingang hantierende Kinder verleihen der Szene ebenfalls etwas eher heiter-burleskes. Die eigentliche, von einer Kuppel bekrönte Querhausfassade mit Fensterrose und aufwändigem Fassadenschmuck wird in dieser Aufnahme beinahe zur Nebensache. Die Ende September 1932 entstandene Fotografie gehört vermutlich zu den ersten, die Hülsmann mit der im Lauf diesen Jahres gekauften Kamera macht.
Bisher nicht identifizierte Villa an einem der norditalienischen Seen, die Hülsmann im September 1932 bereiste. Er hielt sich nachweislich u.a. in Brescia, Bergamo, sowie in der Nähe von Bellagio am Comer See auf – und schrieb seiner Frau von verschiedenen Orten aus Postkarten.
Die zur Seeseite gewandte Fassade der Villa weist Figurenschmuck auf, wie er für die Hochrenaissance typisch ist; der Platz davor ist mit unregelmäßigen Steinplatten belegt. Die diesige Atmosphäre zeichnet ein weiches Sfumato im Bildhintergrund.
Weihnachtlich überreich geschmücktes Zimmer in der Wohnung Possmoorweg, möglicherweise das erste Fest im neuen Domizil, 1932. Die Einrichtung wirkt stilistisch noch etwas unsicher und zu dicht gedrängt – kaum ein Bereich, der nicht mit brennenden Kerzen oder Tannenzweigen dekoriert ist; später wird es für dieses Zimmer andere Lösungen geben. Deutlich zeichnen sich die künftigen Sammlungsinteressen ab: antikes Kleingerät, darunter metallene Leuchter und Wandteller, historische Sitzgelegenheiten wie ein Stuhl à la Chippendahl und ein Brokatsessel. Zu den auf Gabentischen präsentierten Geschenken gehören eine Napoleon-Biographie von Werner Hegemann (ersch. 1927), ein Bildband über Hamburg sowie weitere Bücher, Marzipanspezialitäten aus Lübeck und möglicherweise ein Schallplatte, die auf dem Schreibtisch abgelegt ist. Stoffgardinen mit aufgedruckten Rokokomotiven sehen nach zeitgenössischer Meterware aus.
Asiatisches Stilleben in der Wohnung Possmoorweg. Auf einem einfachen Tisch fanden eine fernöstliche Buddha-Statuette (vermutlich aus Bronze), eine als Tischläufer verwendete Seidenbordüre mit floralen Ornamenten, darauf ein Porzellankoppchen im Stil der Zeit um 1700 sowie eine bauchige chinesische Vase mit Kirschzweigen Aufstellung. Dass die Kirschzweige noch nicht blühen lässt auf eine Aufnahme Anfang Dezember schließen: traditionell wurden am Barbaratag (4.12.) Kirschzweige geschnitten, damit sie bis Weihnachten aufblühen.
Das elegante und in der Auswahl der überwiegend fernöstlichen Gegenstände einigermaßen reduzierte Stilleben beweist kompositorisches Geschick; die Beleuchtung lässt die Materialität einzelner Objekte, darunter die reflektierende Oberfläche der Vase oder den feinen Seidenglanz des Stoffes hervortreten. Etwas störend erweist sich lediglich ein am linken Bildrand unvorteilhaft angeschnittener Gegenstand, den Hülsmann im Falle einer Ausbelichtung vielleicht "wegretuschiert" haben könnte.
Schloss Ahrensburg, übereck aus nordwestlicher Richtung aufgenommen. Hülsmann komponiert seine Aufnahme um einen der vier gleichförmigen Ecktürme herum, den er in die Mitte der Bildachse rückt; der Blick auf den um 1600 in Nachahmung des Schlosses Glücksburg errichteten Bau erfolgt durch kahle Baumzweige hindurch, die sich wie ein graphisches allover-Muster über das Motiv legen. Möglicherweise fotografiert Hülsmann direkt im ersten Winter (1932/33), in dem das ursprünglich privat bewohnte Schloss zum Heimatmuseum geworden war. Außer dem formvollendeten Baukörper fanden auch die weitläufigen Parkanlagen mit Schloßgraben, Brücken und Mühle sowie die Schlosskirche mit den anschließenden "Gottesbuden" (Armenwohnungen) seine Aufmerksamkeit.
Interieur Wohnung Possmoorweg. Einfallendes Sonnenlicht leuchtet die Szene kontrastreich aus und lässt anmutige Schattenspiele sowohl des Fensterrahmens als auch der gläsernen Kerzenständer auf der Wand entstehen. Auf dem leicht geschweiften Konsoltisch aus dem späten 18. Jahrhundert sind eine spätbarocke silberne Deckeldose sowie ein chinoises Porzellangefäß und eine reliefierte Schale, vermutlich ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert, zu erkennen. An der Wand hängen höhenversetzt eine botanische Illustration mit aufgeschnittener Frucht (vielleicht ein Granatapfel) sowie ein kleinformatiges Porträt aus der Zeit um 1730-1750, das wahrscheinlich einen Prinzen aus dem Haus Wittelsbach zeigt, da der Rahmen mit einem Kurhut bekrönt ist. Es könnte sich dann um einen der jüngeren Söhne des "blauen Kurfürsten" Maximilian Emanuel handeln, die den geistlichen Stand wählten, oder den jungen Kurfürsten Maximilian III. von Bayern (1727-1777) oder Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz (1724-1799); der Adelige ist mit Brustharnisch und Schärpe dargestellt.
Die gleiche Raumsituation mit einer Empire-Standuhr in der Zimmerecke ist noch einmal aus größerem Abstand fotografiert.
Blumenarrangement auf einer Fensterbank in der Wohnung Possmoorweg. Hülsmann kombiniert bei strahlendem Sonnenlicht Pfingstrosen in einer einfachen Glasvase mit einem durch ein Bänkchen erhöhten Pflanzentopf. Er probiert bei diesem Motiv sowohl eine optimale Ausleuchtung als auch die Wirkung von Fokus und Tiefenunschärfe: ein für Fotoamateure beliebtes Experiment. Der Blick aus dem Fenster geht auf das gegenüberliegende Goldbekufer.
Variante zum Negativ Nr. 3331: die Wohnungsecke mit Standuhr, Konsole und Sekretär ist nun aus größerem Abstand fotografiert. Die Tulpen auf dem Tisch lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass diese Aufnahme im Frühling entstand.
Ribe im südlichen Dänemark gehört zu den ältesten Kirchenorten in Nordeuropa. Hier wurde im 12. Jahrhundert die älteste Domkirche des Landes errichtet, berühmt für eine Bronzetür am Südportal des Querhauses: nach einem Ziehgriff in Tiergestalt wird das Portal "Katzenkopftür" genannt. im Tympanon über der Tür ist eine Kreuzabnahme in den Stein gehauen, die Figuren krümmen sich unbeholfen in die Rundung des romanischen Bogens. Hülsmann wählt für seine Detailaufnahme jedoch einen Blick auf die Säulen, deren Kapitelle die reliefierten Rundbögen sützen. Licht und Schatten sind hier exzellent abgestimmt.
Fernsicht auf das Schloß Glücksburg, wahrscheinlich von der Wilhelminenstraße am gegenüberliegenden Schloßteichufer aus fotografiert. Hülsmann nimmt den Gebäudekomplex in die Bildmitte; das Motiv ist natürlich gerahmt durch Zweige und Schilf im Gegenlicht. Die exakte Spiegelung des Schlosses und des nahen Laubwaldes im unbewegten Wasser lässt auf einen windstillen Tag schließen. Glücksburg diente seit dem späten 16. Jahrhundert der älteren Linie der Herzöge von Schleswig-Holstein sowie zeitweilig der dänischen Königsfamilie als Residenz. Der symmetrische, kastenförmige Hauptbau mit Ecktürmen diente unmittelbar als Vorlage für das – eleganter geratene – Schloß Ahrensburg südlich von Hamburg.
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Porträt einer Dame in skandinavischem Trachtenensemble. Hülsmann bittet die bisher nicht identifizierte Frau mindestens zweimal vor die Kamera. Sie trägt eine weiße Bluse mit gebauschten Ärmeln, eine Miederweste und einen Rock mit bedruckter Schürze. Die Beschäftigung mit Volkstrachten gehörte zu den Interessensgebieten des Bundes Heimatschutz, war allerdings auch ein beliebtes Thema für Diskussionen rund um eine "deutsche Mode" während des NS-Regimes. Hülsmann selbst besaß einige traditionell bedruckte Stoffstücke, die er auch fotografierte.
(ca. 1937) Das im 18. und 19. Jahrhundert mehrfach umgebaute Schloss zu Eutin diente den Großherzögen von Oldenburg bis 1918 als Sommerresidenz und wurde seither nicht mehr regelmäßig bewohnt. Hülsmann fotografiert die "Gartenfassade" des Südflügels wahrscheinlich von der Brücke aus, die über den Schlossgraben führt. Die klassische Komposition mit rahmendem Buschwerk und dem leicht aus der Mittelachse verschobenen, efeubewachsenen Turm wirkt ausgesprochen malerisch. Weitere Aufnahmen aus Eutin zeigen u.a. einen Ritt des 1918 abgedankten Großherzogs Nikolaus (1897-1970), einem Mitglied der NSDAP und SA-Standartenführer, begleitet von seinem ältesten Sohn Anton Günther (1923-2014).
Zu den von Friedrich Hülsmann immer wieder gerne fotografierten "Nasenschildern" gehört auch das der Weinwirtschaft von A. Waaser, vermutlich in Knittlingen bei Karlsruhe: Waasers Schild enthält einen Harfe spielenden Engel. Die Straße dürfte erst kurz zuvor nach dem "Führer" des Deutschen Reichs benannt worden sein. Im Juli 1933 waren "Grundsätze für die Straßenbenennungen" erlassen worden, aufgrund deren in jedem größeren Ort eine der Hauptstraßen dem Reichskanzler zu widmen war. Diese Voränge wurden 1945 flächendeckend rückgängig gemacht.
Detail des East Terrace Garden am Schloss Windsor, fotografiert August 1933. Hülsmann nimmt hier eine puttengekrönte Steinvase in den Focus.
Die vierstellige Negativnr. (4129) ist ein Indiz für die nachträgliche Beschriftung: die Aufnahme gehört zweifellos in den Kontext der Englandreise mit den Vierhunderter-Nummern.
Auf seinen Ausflügen fotografiert Friedrich Hülsmann gerne sogenannte Nasenschilder oder Ausleger: diese historische Form der Werbung für ein Unternehmen (z.B. Handwerksbetriebe oder Gasthäuser) wird rechtwinklig an der Hauswand angebracht. Die kunstvollen Ornamente, die oft einen symbolischen Hinweis auf die Betreiber des Geschäfts (etwa ihren Namen oder ihr Warenangebot) enthalten wurden meist aus Eisen geschmiedet und oft partiell farbig emailliert. Auf einer Reise nach Dinkelsbühl entdeckt Hülsmann das Schild des Brauereiausschanks von Karl Mühlbacher, das in einem Kranz einen aufsteigenden Greif zeigt. die Wirtshauszier inspirierte seinerzeit auch weitere Amateurfotograf:innen.